[np?] crisis & angst/: luhmann

lorentzen-nicklaus lorentzen-nicklaus at t-online.de
Sat Sep 22 09:27:28 CDT 2001



 [an english translation of the book the following quote is taken from was 
 published under the title "ecological communication" - kfl] 

 "angst ist also von den funktionssystemen aus nicht zu kontrollieren. sie ist 
gegen alle funktionssysteme abgesichert. gerade bessere funktionsleistung kann 
mit mehr angst korrelieren, ohne sie beheben zu können. dabei braucht angst gar 
nicht wirklich vorhanden zu sein. angskommunikation ist immer authentische 
kommunikation, da man sich selbst bescheinigen kann, angst zu haben, ohne dass 
andere dies widerlegen können. das alles macht angstthemen attraktiv für eine 
kommunikation, die die funktionssysteme von außerhalb, und doch innerhalb der 
gesellschaft beobachten und beschreiben will. angst widersteht jeder kritik der 
reinen vernunft. sie ist das moderne apriori - nicht empirisch, sondern 
transzendental. sie ist das prinzip, das nicht versagt, wenn alle prinzipien 
versagen. sie ist ein 'eigenbehavior', das alle rekursiven tests überdauert. man 
kann ihr eine große politische und moralische zukunft voraussagen. ein glück 
nur, dass die rhetorik der angst wahrscheinlich nicht in der lage ist, wirkliche 
angst zu erzeugen. sie bleibt ein störfaktor im sozialen system.
 in vielen hinsichten ist die rhetorik der angst kein neues phänomen. ihr 
politischer gebrauch, gerichtet gegen äußere und innere feinde, ist seit langem 
bekannt (footnote 8: vgl. z.b. franz l. neumann, angst und politik, tübingen 
1954). die neuen ökologischen themen haben jedoch die bezugsrichtung geändert 
und die differenz vom freund/feind-schema in eine system/umwelt-perspektive 
verschoben. in dem maß, als krieg auf eine absichtlich herbeigeführte 
ökologische katastrophe hinausläuft, verdrängt die angst vor dem kriege die 
angst vor dem feinde. die alten sozialen differenzierungen nationaler, 
klassenmäßiger oder ideologischer art, die zu kriegen führen können, verlieren 
an überzeugungskraft und werden durch kleinformatige tendenzen zu regionalen 
oder kulturellen ethnogenesen ersetzt. in bezug auf die 'eigentlichen' probleme 
unserer zeit werden neue soziale solidaritäten angemahnt und mit nachdruck 
moralisch postuliert.
 die neuen angstthemen haben vor allem eine eigenschaft: man braucht keine angst 
zu haben, angst zu zeigen. sie sind dadurch verbreitungsfähig. es fällt kein 
negatives licht auf den, der in 'krisen' oder vor ökologischen entwicklungen, 
technikfolgen und dergleichen angst hat; denn es gibt keine individuelle 
tüchtigkeit, die man der gefahr entgegensetzen könnte. meinungsumfragen können 
deshalb ohne schwierigkeiten zunahme von angst registrieren und ihre ergebnisse 
in die öffentliche kommunikation zurückleiten. man hat auch vom zeitalter der 
'unverdeckten angst' gesprochen. die angst kann den anspruch erheben, allgemein 
zu sein: volenté générale.
 (...) mit all dem zeigt sich sich, dass nicht nur die gesellschaftlich 
dominierende, funktionsbezogene kommunikation, sondern auch die angstbezogene 
kommunikation ein resonanzprinzip ist, das bestimmtes vergrößert und anderes 
abdunkelt. diese differenz wird nicht zuletzt durch eine gezielte öffentliche 
rhetorik der angst gesteigert. diese rhetorik übernimmt die aufgabe, angst (die 
sich ja nicht von selbst versteht) erst einmal durchzusetzen. zu diesem zweck 
muss sie selektiv vorgehen. so hat man gegenwärtig vor allem vor atomaren 
gefahren angst, dagegen kaum vor medizininduzierten seuchen, und es fehlt, 
zumindest in der öffentlichen kommunikation, an angst vor der angst anderer. 
(...) wer angst hat, ist moralisch im recht, besonders wenn er für andere angst 
hat und seine angst einem anerkannten, nicht pathologischen typus zugerechnet 
werden kann.
 (...) das gesellschaftliche problem liegt allerdings weniger in der psychischen 
realität von angst als in ihrer kommunikativen aktualität. wenn angst 
kommuniziert wird und im kommunikationsprozess nicht bestritten werden kann, 
gewinnt sie eine moralische existenz. sie macht es zur pflicht, sich sorgen zu 
machen, und zum recht, anteilnahme an befürchtungen zu erwarten und maßnahmen 
zur abwendung der gefahren zu fordern. die ökologisch besorgten rüsten daher 
nicht nur, wie einst noah, ihre eigene arche mit den für die spätere evolution 
genetisch notwendigen materialien. sie werden zu warntätern - mit all den 
moralischen risiken, die das impliziert (footnote 16: zur moral und zur logik 
des warnens vgl. lars clausen/wolf r. dombrowsky, warnpraxis und warnlogik, 
zeitschrift für soziologie 13 (1984), s. 293-307). die ökologische kommunikation 
wird auf diese weise über angst mit moral aufgeladen, und kontroversen werden 
wegen ihres polemogenen urspungs unentscheidbar. erst die zukunft könnte zeigen, 
ob die angst berechtigt gewesen war, aber die zukunft konstituiert sich in jeder 
gegenwart neu."

  ~~~ niklas luhmann: ökologische kommunikation. kann die moderne gesellschaft 
                       sich auf ökologische gefährdungen einstellen?. opladen 
                        1986: westdeutscher verlag, pp. 239ff., chapter xix ~~~


kai frederik //:: ps: now it's time for my first single malt...this islay 
                 "ardbeg" is  s o  delicious ...




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