mddm: the non-european character of america's revolution
lorentzen-nicklaus
lorentzen-nicklaus at t-online.de
Wed Aug 14 03:52:56 CDT 2002
... from dan diner: das jahrhundert verstehen. eine universalhistorische
deutung. ffm 2000: fischer taschenbuch, pp. 23ff ---
"amerika war im laufe seiner geschichte überwiegend in auseinandersetzungen
verwickelt, die als krieg der werte charakterzüge eines bürgerkrieges trugen.
die entsprechende traditionslinie nimmt mit dem amerikanischen
unabhängigkeitskrieg, einer rebellion gegen den englischen könig, ihren anfang.
no taxation without representation war die parole der aufrührer. der
amerkanische bürgerkrieg der nordstaaten gegen die südstaaten 1861 bis 1865
dominiert bis in die gegenwart hinein das amerikanische gedächtnis. in den
ersten weltkrieg waren die vereinigten staaten mit dem vorhaben eingetreten, die
welt safe for democracy zu machen. der zweite weltkrieg war den amerikanern ein
crusade for freedom. und der kalte krieg - ein über vierzig jahre sich
hinziehender antagonismus zwischen ost und west - war ein wertekrieg sui
generis. unversöhnlich standen sich die prinzipien von freiheit und das ideal
von der buchstäblichen gleichheit in der weltarena gegenüber.
hegel bemerkt beläufig, im vergleich zu den europäischen gemeinwesen handle es
sich bei nordamerika um eine bürgerliche gesellschaft ohne staat. aus
europäischer perspektive haftet den vereinigten staaten tatsächlich etwas
überterritoriales, gleichsam grenzenloses an, ein für die europäischen
vorstellung von staat und nation irritierendes phänomen. es schlägt sich eher in
abstrakten werten und doktrinen nieder als in den konventionellen politischen
formen kontinentaler gemeinwesen. und während die genesis des neuzeitlichen
europäischen staates nicht zuletzt auf die neutralisierung konfessioneller, also
'ideologischer' gegensätze beruht, war amerika von anfang an dieser tradition
entrückt. so üben die vereinigten staaten eine interventionistische praxis der
parteilichkeit, wenn sie im unterschied zur europäischen sitte es nicht dabei
belassen, andere gemeinwesen jenseits ihrer eigenen verfasstheit anzuerkennen,
sondern sich vorbehalten, regierungen fremder staaten für rechtmäßig zu
erklären.
[still, perhaps more than ever, the way it is, in the 21. century ...kfl]
der amerikanische interventionismus gilt als die kehrseite des für die
vereinigten staaten sprichwörtlichen isolationismus. diese zwiespältigkeit
entspringt wohl dem spezifischen charakter amerikas; so etwa unterscheidet er
sich vom universalismus der französischen revolution und erst recht von den
menschheitsbeglückenden unternehmungen der russländischen revolutionäre, der
bolschewiki. die amerikanische revolution beruht auf einem universalismus der
menschen- und bürgerrechte, dem es nicht auferlegt war, gegen bestehende
verhältnisse anzutreten. das privileg amerikas war es, die wirklichkeit einer
neuen welt gleichsam aus sich heraus zu erfinden. die amerikanische utopie
etablierte sich in der gegenwart, während die kontinentalen revolutionen jeweils
unterschiedliche visionen in die zukunft projizierten. schließlich entsprang die
gewaltanwendung der französischen revolution und erst recht die der russischen
dem vorhaben, historische zeit zu beschleunigen. galt es in amerika vornehmlich,
institutionen zu etablieren, die individuelles glück in aussicht stellten, so
war es den europäischen revolutionen aufgetragen, vergangenheiten, anciens
régimes, umzustürzen. die kontinentalen traditionen wurden mithin von einem
geschichtsphilosophischen telos angetrieben. amerika hatte es besser: es kennt
keine geschichte, wenn es auch eine historie hat.
jenseits geschichtsphilopsophischer anmaßungen und menschheitlichen pathos war
der universalismus der französischen revolution partikular kontingentiert. die
universellen werte traten im französischen gewand auf. die nationale einfärbung
musste die verbreitung von freiheit und gleichheit beeinträchtigen. die
widerständigkeit anderer völker gegen die ihnen als besatzung auferlegte
französische form kehrte sich zunehmend gegen ihren universellen inhalt. nach
außen entblößte sich république universelle fürwahr als imperialer vollzug des
traditionellen anspruchs der französischen könige - der monachie universelle.
und während der napoleonische imperialismus den nationalismus anderer völker
gegen sich aufbrachte, neutralisiert amerika das nationale gefühl all jener, die
sich dem gemeinwesen der neuen welt anzuschließen gedenken [just take a look at
stanford's mr. gumbrecht! kfl]: nur als individuen vermögen sie amerikaner zu
werden. um an der utopie der gegenwart teilzuhaben, sind sie gehalten,
geschichte hinter sich zu lassen."
kfl
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