Pynchon Radio Programme

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Fri May 16 15:33:28 CDT 2003


Datum:    20.03.2000
Ressort:    Feuilleton
Autor:    Harald Jähner

Heiteres Gespräch über die Sinnlosigkeit
Ein prominenter Pynchon-Fanclub im LCB
Fünf äußerst eloquente Herren hatten sich um einen Tisch im Literarischen
Colloquium Berlin versammelt und sprachen über einen notorischen Schweiger.
Über Thomas Pynchon, einen Autor, der sich öffentlich nur schriftlich
äußert, dies aber umso wortgewaltiger. Von Pynchon gibt es nicht einmal
Fotos bis auf ein paar Jugendbildnisse und einige verwischte
Paparazziaufnahmen, die entstanden waren, nachdem einige Hacker über den
Computer des Meldeamtes von Sacramento seinen damaligen Wohnsitz enttarnt
hatten. Zum Versuch "ein Phantombild des großen Unsichtbaren zu entwerfen",
wie der Moderator Denis Scheck die Aufgabe formulierte, trafen sich der
Schauspieler, Kritiker und Regisseur Hanns Zischler, die Professoren
Friedrich Kittler und Heinz Ickstadt und unser Staatsminister für Kultur,
Michael Naumann, allesamt Pynchon-Fans.

Von Pynchon geht nun einmal ein besonderer Sog aus, der dazu führt, dass die
Herren umstandslos den Begriff "Kultautor" akzeptierten, ein Wort, das
eigentlich nicht in ihre Lebenswelt passt. Der Amerikanist Ickstadt rühmte
den über Jahre währenden Zusammenhalt bekiffter Pynchon-Arbeitsgruppen unter
seinen Studenten, Friedrich Kittler, der Technikfixierte unter den
Literaturwissensschaftlern, fand bei Pynchon seine Kindheit auf Usedom
beschrieben und sogar erklärt, und Michael Naumann sagte ganz richtig,
Pynchon sei der Autor ständig neu heranwachsender Jugend und schon deshalb
anhaltend erfolgreich. Seine "schwarzhumorige Empörung über die
Sinnlosigkeit des Lebens" spräche die Grundstimmung von 18jährigen an, nicht
die von "uns Zynikern".

Naumann kennt den Unsichtbaren persönlich, und zwar um einiges über das Maß
hinaus, das für den ehemaligen Verleger Pynchons in New York notwendig
gewesen wäre. So korrigierte er kursierende Pynchon-Mythen mit einigen
privaten Details, brillierte mit dem beiläufigen Aufdecken eines Druck- und
Übersetzungsfehlers und genoss die Verblüffung, die noch immer im Publikum
ausbricht, wenn ein Kulturpolitiker etwas von Kultur versteht. Da verzieh
man ihm gern die windige These, dass das deutsche geistige Pendant zu
Pynchon Theodor W. Adorno gewesen sein könnte, hätte der etwas von Jazz
verstanden.

Als Naumann Pynchon erzählt habe, er ginge nach Deutschland in die Politik,
habe der nur gelacht. Jetzt, sagte Naumann, nach eineinhalb Ministerjahren,
sei ihm klar, warum Pynchon gelacht habe.
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