Der fiktive Mensch
Otto
ottosell at yahoo.de
Mon Sep 22 04:03:17 CDT 2003
Der fiktive Mensch
In der Bioethik stellen die EU und die UN jetzt die Weichen neu
Der Countdown läuft: Heute treffen sich die Forschungsminister der EU, um zu
beraten, ob sie die Tötung von Embryonen finanziell fördern wollen. Am
Dienstag beginnt die UN-Generalversammlung, auf deren Tagesordnung der
Antrag steht, das Klonen zu ächten. Im Herbst beugt sich dann das
Europäische Parlament erneut über den Entwurf zur Gewebe-Richtlinie; nötig
geworden ist eine zweite Lesung, weil die Europäische Kommission die
Änderungswünsche des Parlaments ablehnt. Das Parlament drängt auf stärkere
ethische Grenzen und auf ein Verbot des so genannten Forschungsklonens. Bis
Dezember werden somit die Weichen für das nächste Jahrzehnt gestellt. Diese
Beschlüsse könnten die endgültige Fiktionalisierung des Menschen und den
Sieg der Biopharmazie über Leib und Leben bedeuten. (...)
Wer sehen will, wohin die völlige Forschungsfreigabe führt, dem sei der
Blick nach China empfohlen. Das Eugenik-Gesetz von 1995 kam ohne öffentliche
Debatten zustande. Seither versucht die Staatsführung die genetische
Qualität der Bevölkerung zu steigern. Die Abtreibung wird auch deshalb
propagiert, weil so der Nachschub an "biologischem Material" - sprich:
abgetriebenen Föten - für die Forschung gewährleistet ist. Jing-Bao Nie vom
Zentrum für Bioethik an der neuseeländischen Universität Otago nennt die
Antriebskräfte hinter dieser Eugenik: Sozialdarwinismus, Nationalismus und
Utopismus. Das Schicksal derer, die nicht für sich selbst sprechen können,
werde geopfert. Dasselbe lässt sich behaupten vom Umgang der EU-Kommission
mit dem Rohstoff Embryo. Die Fiktionalisierung des Menschen durch die
Biotechnik ist uns näher, als wir Europäer glauben.
ALEXANDER KISSLER, Süddeutsche Zeitung, 22.09.2003
http://www.sueddeutsche.de/sz/feuilleton/red-artikel905/
"If our world survives, the next great challenge to watch out for will
come - you heard it here first - when the curves of research and development
in artificial intelligence, molecular biology and robotics all converge.
Oboy."
http://www.nytimes.com/books/97/05/18/reviews/pynchon-luddite.html
More information about the Pynchon-l
mailing list