transit o' venus
Erik T. Burns
erik.burns at dowjones.com
Mon Jun 7 02:24:23 CDT 2004
for our German readers, with pynchon references to boot.
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Große Katastrophe der Leidenschaften
887 Words
04 June 2004
General Anzeiger
German
(c) 2004 General-Anzeiger, Bonn
DICHTUNG Venus geht durchs Feuer, und die Poeten folgen ihr: Literarischer
Ausblick auf ein astronomisches
Wunder. Thomas Pynchon zum Beispiel beschreibt das erhabene Gefühl beim
Eintritt ins Sternengesetz
Von Volker Hagedorn
Weltumsegler George Anson hatte den Weg übers Meer so genau berechnet, wie
es eben ging. Es ging aber in jenem Jahr 1742 nur auf 200 Kilometer genau.
Und das waren genau die 200 Kilometer, um die Ansons fünf Schiffe den Riffen
des pazifischen Archipels Juan Fernandez zu nahe kamen. Vier von ihnen
barsten im Sturm, 80 Mann ertranken. Und das nur, weil der Grundmaßstab
fehlte, um präzise die globalen Längengrade zu bestimmen: die Entfernung der
Erde von der Sonne. Es gab nur eine Möglichkeit, sie zu berechnen, nämlich
den Tag, an dem die Venus vor der Sonne entlang wandern würde. Man kannte
die Termine schon, der Umlaufbahn entsprechend: 1761, 1769, dann erst wieder
1874 und 1882, im 20. Jahrhundert gar nicht. Und am 8. Juni 2004.
Ein Venusdurchgang ist so selten, dass noch keiner der jetzt lebenden
Menschen sehen konnte, was am nächsten Dienstag zu sehen ist. Fürs 18.
Jahrhundert bedeutete es eine ungeheure Chance. Möglichst viele Beobachter
an möglichst weit voneinander entfernten Erdpunkten (die nur unter größter
Mühe erreichbar waren) mussten festhalten, wann die kleine Venusscheibe sich
vor den Flammenkreis der Sonne schieben und wann sie ihn wieder verlassen
würde. Dann konnte man die abweichenden Ergebnisse aus allen Erdgegenden
miteinander verrechnen. Vorerst wurde die Distanz zur Sonne nur geschätzt:
75 Millionen Kilometer? 100? Oder doch nur 30, wie Kepler getippt hatte? Man
würde den entscheidenden Schritt ins Räderwerk der Gestirne tun. "Unser
ganzes Sterngucker-Leben hindurch ist die Venus ein winziger Lichtpunkt
gewesen", sagt der Astronom Charles Mason, "welcher wie der Mond Phasen
durchläuft, und dies immerzu vor dem schwarzen Antlitz der Ewigkeit. Doch am
Tage dieses Durchgangs wird sich mit einmal alles umkehren - wenn man sie
dunkel, in körperlicher Gestalt und fest vor dem Antlitz der Sonne betreffen
wird - eine vom Licht in die Stofflichkeit herabgestiegene Göttin."
Was der historische Mason wirklich gesagt hat, wissen wir nicht. Die Szene,
in der er und sein Partner James Dixon am 5. Juni 1761 am Kap der Guten
Hoffnung das Fernrohr vorbereiten, stammt aus Thomas Pynchons
historisch-fantastischem Roman "Mason & Dixon" von 1997. Die beiden Briten
gehörten zu den wenigen Forschern, die Glück hatten mit ihrem Vorhaben.
Andere gerieten in Seenot und Kriege, wurden von Eingeborenen vertrieben,
maßen nicht präzise genug - alles in allem taugte das Material nicht zur
Berechnung. Bahnbrechendes kam erst acht Jahre später zustande, beim
nächsten Venustransit. Der "ersten großen wissenschaftlichen
Gemeinschaftsleistung unseres Kontinentes" hat Arno Schmidt 1956 seinen
Funkdialog "Das schönere Europa" gewidmet: "Berauschend, wie der spannendste
Roman, zu verfolgen das wahrhaft globale, wirklich den Erball handgreiflich
umkreisende, Zusammenarbeiten jener achtzig Stationen!"
Sekundengenau schweift Schmidt über den Erdball. "In Paris legt der greise
Cassini das Auge ans Okular", im "rousseau'schen Traumparadies O'Taheiti"
geht Kapitän James Cook mit der "Endeavour" vor Anker. Sie wird aus
strahlendem Wetter die besten Daten mitbringen. Anders als der vom Pech
verfolgte Guillaume Le Gentil: Der war nach Indien gesegelt, hatte es 1761
nicht rechtzeitig an Land geschafft, dort dann aber acht Jahre lang gewartet
und ein perfektes Observatorium errichtet. Als es wieder soweit war, schob
sich eine Wolke vor die Sonne und blieb dort für die Dauer des Durchgangs.
Und als Le Gentil nach elfjähriger Abwesenheit wieder seine französische
Heimat erreichte, hatte man ihn für tot erklärt und sein Anwesen geplündert.
Das nächste Durchgangsdoppel war 1874 und 1882 zu beobachten, und der
spätere Termin ist ebenfalls Literatur geworden im "Choral am Ende der
Reise" von Erik F. Hansen (1990). Da erinnert sich der Musiker Jason auf dem
Weg zur "Titanic" ans Observieren mit dem astronomiebegeisterten Vater. "In
aller Schwärze wirkte die Sonne wie eine brennende Leuchttonne. Und dort,
ganz richtig, in der rechten Ecke, kriecht ein runder Flecken auf die
Sonnenoberfläche zu. Es ist ganz deutlich eine kleine, absolut kreisförmige
Kugel." Leider hat die Szene ein paar Recherchelücken. Zum einen konnte man
den 1882er Durchgang in England nur am Anfang sehen und nicht bis über die
Sonnenmitte wie im Roman. Zum andern war der 6. Dezember kein
"Sommermorgen". Und schließlich beginnt ein Transit nicht mit einer "absolut
kreisförmigen Kugel", sondern mit dem optischen "Effekt des Schwarzen
Tropfens". Anfangs wirkt die Venus wie mit dem Sonnenrand verbunden. "So
etwas wie ein langer schwarzer Faden", schreibt Pynchon präzis, "verbindet
sie noch mit dem Limbus der Sonne, ob sie sich gleich ein ganzes Stück über
deren Antlitz geschoben hat, ähnlich einem Tintentropfen, der - freilich
waagerecht - im Begriff steht, von der Feder eines achtlosen Schreibers zu
fallen."
Dieser Effekt erschwerte die Messungen, und die Berechnungen des 18.
Jahrhunderts schwankten bei der Erde-Sonne-Distanz zwischen 145 und 155
Millionen Kilometer. Das reichte aber zum Navigieren. Und die Wahrheit, 1976
durch Radarmessung ermittelt, liegt just in der Mitte - nämlich bei 149 597
870 691 Metern. Aber der Venusdurchgang hat auch eine dichterische Wahrheit.
Das erhabene Gefühl beim Eintritt ins Sternengesetz, die Bestimmung des
Maßes bringt im Zeichen der Venus auch Maßlosigkeit und Entgrenzung hervor,
wie Thomas Pynchon andeutet: "Nach dem Durchgang wandeln Astronomen wie
Gastgeber tagelang in tiefer Stumpfheit umher, wie Wüstlinge und Dirnen nach
einer großen Katastrophe der Leidenschaften." In Bonn beginnt die rare und
schöne Katastrophe am 8. Juni um 7.20 Uhr.
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