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Otto
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Tue Dec 5 03:20:55 CST 2006
Das Phantom
Thomas Pynchon wird nie den Nobelpreis für Literatur bekommen. Gelobt
sei er dafür!
Von Georg Diez
Thomas Pynchon ist der älteste Junge der Welt. Und er ist der jüngste
69-Jährige der Weltliteratur. Er ist so jung wie sein Lachen, dieses
gut gelaunt gurgelnde Geräusch, dieses unverschämte Gelächter, das
jetzt gerade wieder an allen vier Ecken der Welt anhebt, wo sein Buch
– das manche an einen Toaster erinnert hat, weil es so dick ist, als
ob es nicht schon früher dicke Bücher gegeben hat– in Amerika in den
Läden liegt und leider auch in den Redaktionen, und nun müssen wir
arme Redakteure uns damit abmühen, als gelte es, Kopernikus
Einfallslosigkeit nachzuweisen oder Thomas Edison Altersstarrsinn. Wir
schäumen und beben: Wir, die nie jung genug waren, um die Welt gesehen
zu haben, wie Pynchon sie sieht – als einen zauberhaften Jahrmarkt,
als ein Karussell außer Kontrolle, als eine Konstruktion, die man mit
physikalischen Formeln beschreiben kann. Oder eben mit Sätzen, die dem
Geheimnis dieser Welt nachlauschen.
Aber wir können nicht hören, wir Kritiker. Oder wir wollen einfach
nicht. Wir haben schon zu viel zu tun mit dem letzten Genie der Saison
oder mit dem selig siechenden Philip Roth, wir bewundern John Updike,
wie er sich in einen islamischen Terroristen hineindenken kann, und
gönnen Orhan Pamuk im Chor den Nobelpreis.
Pynchon wird nie den Nobelpreis bekommen. Gelobt sei er dafür! Denn er
ist zu gewissenhaft, um moralisch zu sein nach Stockholmer Maßstäben;
er ist zu tief vorgedrungen zum dunklen Beben dieser Welt, als dass er
das anders vermitteln könnte als hell und schwebend; und vor allem ist
er zu gelassen und zu heiter, um zu verzweifeln. Er ist, um es kurz zu
machen, kein Schriftsteller für die Kritik, und wenn man das liest,
was in Amerika über seinen neuen Roman Against the Day geschrieben
wurde, dann scheint es so, dass vor allem Leute geschrieben haben, die
ihn noch nie mochten und das jetzt endlich sagen können: Es zeigt sich
aber vor allem, dass zwischen Pynchon und der Literaturkritik wohl
schon immer ein Missverständnis war.
(c) DIE ZEIT, 30.11.2006 Nr. 49
http://zeus.zeit.de/text/2006/49/KA-Mittelstueck
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