Siegfried Lenz - Eine Liebesgeschichte
Otto
ottosell at googlemail.com
Wed Nov 14 05:15:43 CST 2007
Eine Liebesgeschichte
Die Achtzehnte Der Masurischen Geschichten
Siegfried Lenz
Joseph Waldemar Gritzan, ein großer, schweigsamer Holzfäller, wurde
heimgesucht von der Liebe. Und zwar hatte er nicht bloß so ein mageres
Pfeilchen im Rücken sitzen, sondern, gleichsam seiner Branche
angemessen, eine ausgewachsene Rundaxt. Empfangen hatte er diese Axt
in dem Augenblick, als er Katharina Knack, ein ausnehmend gesundes,
rosiges Mädchen, beim Spülen der Wäsche zu Gesicht bekam. Sie hatte
auf ihren ansehnlichen Knien am Flüßchen gelegen, den Körper gebeugt,
ein paar Härchen im roten Gesicht, während ihre beträchtlichen Arme
herrlich mit der Wäsche hantierten. In diesem Augenblick, wie gesagt,
ging Joseph Gritzan vorbei, und ehe er sich's versah, hatte er auch
schon die Wunde im Rücken.
Demgemäß ging er nicht in den Wald, sondern fand sich, etwa um fünf
Uhr morgens, beim Pfarrer von Suleyken ein, trommelte den Mann Gottes
aus seinem Bett und sagte: "Mir ist es", sagte er, "Herr Pastor, in
den Sinn gekommen, zu heiraten. Deshalb möchte ich bitten um einen
Taufschein."
Der Pastor, aus mildem Traum geschreckt, besah sich den Joseph Gritzan
ziemlich ungnädig und sagte: "Mein Sohn, wenn dich die Liebe schon
nicht schlafen läßt, dann nimm zumindest Rücksicht auf andere
Menschen. Komm später wieder, nach dem Frühstück. Aber wenn du Zeit
hast, kannst du mir ein bißchen den Garten umgraben. Der Spaten steht
im Stall."
Der Holzfäller sah einmal rasch zum Stall hinüber und sprach: "Wenn
der Garten umgegraben ist, darf ich dann bitten um den Taufschein?"
"Es wird alles genehmigt wie eh und je", sagte der Pfarrer und empfahl sich.
Joseph Gritzan, beglückt über solche Auskunft, begann dergestalt den
Spaten zu gebrauchen, daß der Garten schon nach kurzer Zeit umgegraben
war. Dann zog er, nach Rücksprache mit dem Pfarrer, den Schweinen
Drahtringe durch die Nasen, melkte eine Kuh, erntete zwei
Johannisbeerbüsche ab, schlachtete eine Gans und hackte einen Berg
Brennholz. Als er sich gerade daranmachte, den Schuppen auszubessern,
rief der Pfarrer ihn zu sich, füllte den Taufschein aus und übergab
ihn mit sanften Ermahnungen Joseph Waldemar Gritzan. Na, der faltete
das Dokument mit umständlicher Sorgfalt zusammen, wickelte es in eine
Seite des Masuren-Kalenders und verwahrte es irgendwo in der
weitläufigen Gegend seiner Brust. Bedankte sich natürlich, wie man
erwartet hat, und machte sich auf zu der Stelle am Flüßchen, wo die
liebliche Axt Amors ihn getroffen hatte.
Katharina Knack, sie wußte noch nichts von seinem Zustand, und ebenso
wenig wußte sie, was alles er bereits in die heimlichen Wege geleitet
hatte. Sie kniete singend am Flüßchen, walkte und knetete die Wäsche
und erlaubte sich in kurzen Pausen, ihr gesundes Gesicht zu
betrachten, was im Flüßchen möglich war.
Joseph umfing die rosige Gestalt - mit den Blicken, versteht sich -,
rang ziemlich nach Luft, schluckte und würgte ein Weilchen, und
nachdem er sich ausgeschluckt hatte, ging er an die Klattkä, das ist:
ein Steg, heran. Er hatte sich heftig und lange überlegt, welche Worte
er sprechen sollte, und als er jetzt neben ihr stand, sprach er so:
"Rutsch zur Seite."
Das war, ohne Zweifel, ein unmißverständlicher Satz. Katharina machte
ihm denn auch schnell Platz auf der Klattkä, und er setzte sich, ohne
ein weiteres Wort, neben sie. Sie saßen so - wie lange mag es gewesen
sein? - ein halbes Stündchen vielleicht und schwiegen sich gehörig
aneinander heran. Sie betrachteten das Flüßchen, das jenseitige
Waldufer, sahen zu, wie kleine Gringel in den Grund stießen und kleine
Schlammwolken emporrissen, und zuweilen verfolgten sie auch das
Treiben der Enten. Plötzlich aber sprach Joseph Gritzan: "Bald sind
die Erdbeeren soweit. Und schon gar nicht zu reden von den Blaubeeren
im Wald." Das Mädchen, unvorbereitet auf seine Rede, schrak zusammen
und antwortete: "Ja."
So, und jetzt saßen sie stumm wie Hühner nebeneinander, äugten über
die Wiese, äugten zum Wald hinüber, guckten manchmal auch in die Sonne
oder kratzten sich am Fuß oder am Hals.
Dann, nach angemessener Weile, erfolgte wieder etwas Ungewöhnliches:
Joseph Gritzan langte in die Tasche, zog etwas Eingewickeltes heraus
und sprach zu dem Mädchen Katharina Knack: "Willst", sprach er,
"Lakritz?"
Sie nickte, und der Holzfäller wickelte zwei Lakritzstangen aus, gab
ihr eine und sah zu, wie sie aß und lutschte. Es schien ihr gut zu
schmecken. Sie wurde übermütig - wenn auch nicht so, daß sie zu reden
begonnen hätte -, ließ ihre Beine ins Wasser baumeln, machte kleine
Wellen und sah hin und wieder in sein Gesicht. Er zog sich nicht die
Schuhe aus.
Soweit nahm alles einen ordnungsgemäßen Verlauf. Aber auf einmal - wie
es zu gehen pflegt in solchen Lagen - rief die alte Guschke, trat vors
Häuschen und rief: "Katinka, wo bleibt die Wäsch'!"
Worauf das Mädchen verdattert aufsprang, den Eimer anfaßte und mir
nichts dir nichts, als ob die Lakritzstange gar nichts gewesen wäre,
verschwinden wollte. Doch, Gott sei Dank, hatte Joseph Gritzan das
weitläufige Gelände seiner Brust bereits durchforscht, hatte auch
schon den Taufschein zur Hand, packte ihn sorgsam aus und winkte das
Mädchen noch einmal zu sich heran.
"Kannst", sprach er, "lesen?"
Sie nickte hastig.
Er reichte ihr den Taufschein und erhob sich. Er beobachtete, während
sie las, ihr Gesicht und zitterte am ganzen Körper.
"Katinka!" schrie die alte Guschke, "Katinka, haben die Enten die
Wäsch' gefressen?!"
"Lies zu Ende", sagte der Holzfäller drohend. Er versperrte ihr, weiß
Gott, schon den Weg, dieser Mensch.
Katharina Knack vertiefte sich immer mehr in den Taufschein, vergaß
Welt und Wäsche und stand da, sagen wir mal: wie ein träumendes
Kälbchen, so stand sie da.
"Die Wäsch', die Wäsch' ", keifte die alte Guschke von neuem.
"Lies zu Ende", drohte Joseph Gritzan, und er war so erregt, daß er
sich nicht einmal wunderte über seine Geschwätzigkeit.
Plötzlich schoß die alte Guschke zwischen den Stachelbeeren hervor,
ein geschwindes, üppiges Weib, schoß hervor und heran, trat ganz dicht
neben Katharina Knack und rief: "Die Wäsch', Katinka!" Und mit einem
tatarischen Blick auf den Holzfäller: "Hier geht vor die Wäsch',
Cholera!"
O Wunder der Liebe, insbesondere der masurischen; das Mädchen, das
träumende, rosige, hob seinen Kopf, zeigte der alten Guschke den
Taufschein und sprach: "Es ist", sprach es, "besiegelt und
beschlossen. Was für ein schöner Taufschein! Ich werde heiraten." Die
alte Guschke, sie war zuerst wie vor den Kopf getreten, aber dann
lachte sie und sprach: "Nein, nein", sprach sie, "was die Wäsch' alles
mit sich bringt! Beim Einweichen haben wir noch nichts gewußt. Und
beim Plätten ist es schon soweit."
Währenddessen hatte Joseph Gritzan wiederum etwas aus seiner Tasche
gezogen, hielt es dem Mädchen hin und sagte: "Willst noch Lakritz?"
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