NP Jonathan Littell - Les Bienveillantes (2006)

Otto ottosell at googlemail.com
Thu Feb 28 18:24:09 CST 2008


"Hunderte damit verbundener Einzelzüge realer Personen hat Littell den
Autobiografien und der Literatur über diese Männer entnommen, um sie
alle an "Aue" zu heften. Mit Eichmann wäre das nicht gegangen, sagt
Littell. Familienvater, Bürokrat, zu klare Konturen. Noch klarer wird
das Verfahren an der Figur Hitler. Er tritt nur einmal auf in den
"Wohlgesinnten". Ist aber als der Führer im Hintergrund des Romans
immer anwesend. Littell sagt, Hitler habe für die Deutschen wie ein
Brennglas funktioniert. Nicht als spezifischer Charakter. Hitler
bündelt die höchstmögliche Zahl von Eigenschaften "der Deutschen" und
bringt sie zum Ausdruck. Ebenso hat Canetti die Figur Hitler in Masse
und Macht behandelt; und ich in den Männerfantasien (anders: Joachim
Fest). Es gibt keine Person an der Stelle der totalen Machtausübung,
nur den totalen, bündelnden Drecksack.

Genau das führt Littell in seinem Max Aue vor; alle möglichen
"Eigenschaften" aus dem SS-Umkreis müssen ihm anheftbar sein, je nach
Situation. Dass der Roman dadurch zentrumslos wird, dass sich daraus
eine Reihung von Ereignissen ergibt: alles richtig. Aber wozu muss ein
Roman ein Zentrum haben? Wozu Charaktere? Mr Slothrop in Pynchons
Gravitys Rainbow ist auch kein Charakter, sondern Kunstfigur, die
durch eine Unzahl schräger Situationen geführt wird - u. a. wie Max
Aue durch Mittelbau/Dora - um uns die Mysterien des deutschen
Raketenbaus nahezubringen."

KLAUS THEWELEIT: Wem gehört der SS-Mann?
TAZ 28.02.2008




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