American Nobel?

Otto ottosell at googlemail.com
Thu Oct 2 08:19:42 CDT 2008


Dünne Luft um den hohen Thron
Horace Engdahl desavouiert sich und den Literaturnobelpreis
(...)
Namen über Namen
Muss man Horace Engdahl denn wirklich all die Namen um die Ohren
schlagen, damit er die Potenz und die Faszination ermisst, die der
amerikanischen Gegenwartsliteratur innewohnt? Thomas Pynchon, Don
DeLillo, Philipp Roth, Richard Ford, Anne Tyler, John Updike, Joyce
Carol Oates, Cormac McCarthy, E. Annie Proulx, Edward P. Jones, T. C.
Boyle, Paul Auster, Jonathan Franzen, Siri Hustvedt, Jonathan Safran
Foer oder der kürzlich tragisch verstorbene David Foster Wallace. Was
davon hat Horace Engdahl eigentlich gelesen, dass er eine generelle
Neigung zum Banalen konstatieren zu müssen glaubt? Und wenn er schon
dem Trivialen frönte, hat er denn nicht bemerkt, dass die
amerikanische Massenkultur in ihrer Komplexität nicht selten etwas
Ingeniöses hat (Stichwort The Simpsons)?

Noch immer ist die amerikanische literarische Moderne und Postmoderne
ästhetisch wegweisend, gerade auch auf der Basis von Erfahrungen
eigener politischer und moralischer Defizienz, wie sie in den
schwierigen Jahren nach den Terroranschlägen des 11. September 2001
unter der Bush-Administration manifest wurde. Gewiss ist es so, dass
Europa mehr Geschichte und Kultur atmet als Amerika, nur aber wird die
Luft um den moralischen Thron, von dem aus es die Welt gern beurteilt,
immer dünner. Der alte Kontinent könnte dereinst, überaltert und
übersättigt, fremdbestimmt und fremdenfeindlich, ironisch und
defaitistisch, auch am Übermass seiner Geschichte ersticken.

Horace Engdahl hat mit seinen Äusserungen die Würde des
Literaturnobelpreises beschädigt. Kraft zur Erneuerung und Einkehr
würde man auch der Schwedischen Akademie in Stockholm wünschen. Warum
eigentlich waren, wenn es denn um die Tiefe der Literatur und nicht um
die richtige Gesinnung geht, von den letzten zwölf Preisträgern sechs
einst dogmatische Kommunisten? Und wie viele von ihnen verdanken nicht
zuletzt dieser Tatsache die Auszeichnung? – Noch ist die Aufklärung
über die Aufklärung nicht gänzlich zum Ende gelangt.
(...)

Andreas Breitenstein
2. Oktober 2008, Neue Zürcher Zeitung

http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/duenne_luft_um_den_hohen_thron_1.989614.html




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