Herero genocide

Otto ottosell at googlemail.com
Fri May 22 08:09:18 CDT 2009


Völkermord als Naturgesetz

Medardus Brehls Studie zur "Vernichtung der Herero" belegt, dass die
"Diskurse der Gewalt in der deutschen Kolonialliteratur" noch lange
nicht beendet sind
Von Jan Süselbeck

Noch heute kann man die Einschätzung hören, die Kolonialära habe für
Deutschland keine nennenswerte historische Bedeutung gehabt. Wenn sich
überhaupt noch jemand an die deutschen Kolonien in Südwest- und
Ostafrika, in China und der Südsee erinnert, so winkt derjenige meist
mit dem Argument ab, diese 'imperialistische Phase' hätte ja 'nur'
etwas mehr als 30 Jahre Bestand gehabt, bis im Ersten Weltkrieg ihr
Ende besiegelt wurde. Kein Vergleich also mit dem britischen Empire
und anderen Konkurrenten um einen "Platz an der Sonne", wie die
berüchtigte Wortprägung aus dem Kaiserreich das Ziel kolonialer
Expansionen nannte. Kurz: Die 'anderen' waren in jedem Fall viel
'schlimmer'.

Nicht nur im Rahmen der "Postcolonial Studies" hat aber mittlerweile
eine immer vernehmlicher werdende wissenschaftliche Erinnerung daran
begonnen, was insbesondere Deutsche mit der ihnen eigenen
"Gründlichkeit" in einem Zeitraum von drei Jahrzehnten so alles
anzurichten vermochten. Dabei wird klar, dass federführende Militärs
in den deutschen Kolonien sehr bald nach der Gründung des ersten
"Schutzgebietes" im heutigen Namibia (1884) schon einmal tüchtig für
jenen exzessiven Massenmord zu üben begannen, der dann im 20.
Jahrhundert in wesentlich kürzerer Zeit realisiert wurde und ein
östliches Kolonialreich von gigantischen Ausmaßen begründen helfen
sollte, das auf der Idee seiner totalen Entvölkerung durch einen
Vernichtungskrieg basierte.

Diesen 'Einfall' gab es im deutschen Kaiserreich aber auch schon um
1900. In der ersten deutschen Kolonie "Deutsch Südwest" führte
Generalleutnant von Trotha einen entschlossenen Völkermord an den
aufständischen Herero durch. Er hatte "sich bereits bei der
Niederschlagung des Wahehe-Aufstandes in Deutsch-Ostafrika (1894-1897)
und den Kämpfen in China (1900) den Ruf militärischer Unnachgiebigkeit
und Brutalität erworben", wie Medardus Brehl in seinem Buch über die
"Vernichtung der Herero. Diskurse der Gewalt in der deutschen
Kolonialliteratur" notiert. Trotha ließ die gesamte Bevölkerung dieses
Stammes, 80.000 Männer, Frauen und Kinder, nach der entscheidenden
Schlacht am Waterberg (11. August 1904) in ein riesiges Sandfeld
treiben. Durch eine planvolle militärischen Abriegelung aller
erreichbaren Wasserlöcher durch die deutschen Truppen verdursteten die
Opfer qualvoll. 1911 wurden gerade einmal 15.130 überlebende Herero
gezählt. Und auch von den in einem Folgekrieg unterjochten Nama wurde
etwa die Hälfte getötet.

Brehls Studie widmet sich aber nicht nur der (bereits anderswo
hinlänglich geleisteten) historischen Aufarbeitung dieser Ereignisse,
sondern versucht darüber hinaus, die seinerzeit offen angestrebte
"Vernichtung" einer indigenen Bevölkerung als "Diskursereignis" im
Sinne Michel Foucaults zu begreifen. Der Autor setzt sich dabei von
der bisherigen (literaturwissenschaftlichen) Forschung ab, die das
Thema vor allem ideologiekritisch untersucht und dabei übersehen habe,
dass der Völkermord und seine Rechtfertigung keineswegs nur das
Ergebnis einer aus heutiger Sicht "falschen" rassistischen Verblendung
war, die in 'propagandistischen' Texten aufschien. Vielmehr versucht
Brehl anhand einer ausgreifenden Untersuchung des damaligen
Leitmediums der (Kolonial-)Literatur zu belegen, dass sich die
seinerzeit allseits offen befürwortete Idee einer Auslöschung
kolonisierter Völker unter anderem aus philosophischen, hygienischen
und evolutionstheoretischen Lehren herleitete, die bis auf Johann
Gottfried Herder und Immanuel Kant zurückgingen und damit als
allgemein anschlussfähig begriffen wurden. Es war demnach im
Kaiserreich Konsens, dass ein Genozid an den Herero kein fataler
Fehler oder gar ein Verbrechen war - sondern dass er vielmehr Sinn
ergab und damit den schlichten Regeln der reinen Vernunft klar
denkender, fortschrittlicher und moderner Menschen folgte. Selbst die
christliche Mission spielte in den Entwicklungen, die zu diesem
Völkermord führten, eine unrühmliche Rolle und wurde von ihren
Protagonisten als eigene Form des "Expansionismus", ja gar als
kultureller "Vernichtungskampf" verstanden, der allerdings nicht
Menschen umbringen, sondern ihre "kulturelle Eigenständigkeit"
liquidieren wollte, wie Brehl belegt.

Sein Buch fußt auf einer gewissenhaften Lektüre der bisherigen
historiografischen und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen zum
Thema. Einleuchtend arbeitet der Autor in seinem peniblen, über 40
seitigen Referat des Forschungsstands heraus, dass es nicht darum
gehen könne, einmal mehr den "Nicht-Sinn" kolonialer Ideologeme und
das 'falsche' Bewusstsein ihrer Anhänger mit der heutigen 'Wahrheit'
zu konfrontieren. Vielmehr sei es an der Zeit, die explizite
kollektive Realitätskonstruktion jener Epoche herauszuarbeiten. Brehl
stellt die These auf, dass die "Deutung und literarische Codierung der
Kolonialkriege und des kolonialen Genozids einerseits durch
Traditionen beziehungsweise Konventionen der Rede über die Kolonien
und die Kriegführung, andererseits durch die Struktur der Medien und
der Schrift [...] determiniert sind. Das heißt, daß die zeitgenössisch
über die Kolonialkriege produzierten Texte Ansichten dieser Kriege
projizieren, die nicht die Realität mimetisch abbilden, sondern, vor
dem Hintergrund gültigen sozio-kulturellen Wissens und einer
konventionalisierten Rede über die Kolonien, eine Wirklichkeit der
kolonialkriege konstruktiv erzeugen."

Brehl sichtet zur Verifizierung dieser Theorie unter anderem
erfolgreiche zeitgenössische Kolonialkriegslyrik, Kinder- und
Jugendbücher, Feldzugsberichte und Kolonialromane verschiedenster
Couleur. Und tatsächlich gelingt es dem Autor dabei, ein durch all
diese - nicht zuletzt von den Leserzielgruppen her völlig heterogenen
Textsorten und Publikationen - frappierend dicht hindurchgewebtes Netz
immer wieder gleicher Beteuerungen rassischer Charaktereigenschaften
und darauf fußender Schlussfolgerungen aufzudecken, die dann
schließlich in Afrika von 1904-1907 zu genozidaler Wirklichkeit
wurden.

Verblüffend und zugleich für den Beleg seiner Thesen schlagend ist
auch der Umstand, dass der Genozid an den Herero in diesen
deutschsprachigen Kolonialtexten bis zum Ersten Weltkrieg - und sogar
auch noch in solchen, die danach entstanden sind - mit keinem Wort
geleugnet oder kaschiert wird. Vielmehr behaupten nicht nur triviale
Erzählungen, sondern gerade auch Schulbücher und selbst akademische
Texte jener Zeit die unumgängliche Pflicht und Schuldigkeit der
deutschen Kolonialherren, die "Eingeborenen" möglichst komplett zu
eliminieren.

Anhand verschiedener untersuchter Publikationen weist der Bochumer
Genozidforscher aber auch nach, dass zentrale Topoi kolonialer
kollektiver Rede und der xenophoben Konstruktion des "Fremden" im
Blick auf die Geschichte von "Deutsch Südwest" mitunter sogar bis
heute Bestand haben. Unter anderem verweist Brehl dazu auf eine aus
Windhoek stammende 1998er-Neuauflage von dem deutschen Kolonialtext
schlechthin, Gustav Frenssens Bestseller "Peter Moors Fahrt nach
Südwest" (1906).

Frenssens Roman gibt sich qua Untertitel als ein - tatsächlich auf
Grundlage größtenteils mündlicher Recherchen des Autors kompilierter -
'authentischer' "Feldzugsbericht" aus, obwohl Frenssen selbst die
Kolonie zeitlebens niemals besucht hatte. Trotz - oder, wie Brehl
zeigt - gerade weil Frenssens Text aber den wesentlichen
Erzählschablonen derartiger Berichte folgt, die damals in riesigen
Auflagen Legion waren, hatte sein Roman einen unglaublichen Erfolg,
avancierte unter anderem schnell zur Schullektüre und erfuhr bis in
die 1950er-Jahre eine Auflagenhöhe von über 500.000 Exemplaren.
Frenssen gab an, er habe den Bericht mit so großer Einfühlung
geschrieben, dass er selbst den "Sand zwischen den Zähnen" habe spüren
können.

Übrigens behandelt Brehl auch Karl May in seiner Studie - einen
tendenziell sogar noch wirkungsmächtigeren Autor als Frenssen, der
mindestens ebenso geschickt an virulente koloniale Diskurse und
Fremdbilder seiner Zeit anschloss und innerhalb dieser fiktionalen
Wirklichkeitskonstruktion insinuierte, er sei in den Ländern, über die
er unter anderem anhand von geschickt kompilierten Informationen aus
Lexika 'realistisch' zu schreiben versuchte, selbst umhergereist, ohne
es tatsächlich vor der Niederschrift der Romane getan zu haben.

Selbst zeitgenössische Historiker konnten so auch Frenssens Roman, der
den Genozid an den Herero diskursgemäß als Folge eines
unausweichlichen 'Naturgesetzes' beschrieb, als Quelle und
'beglaubigten' Bericht der Ereignisse auffassen. Frenssen beschrieb
aus ihrer Sicht nichts weiter als einen historisch 'unausweichlichen'
Entscheidungskrieg zwischen der überlegenen, 'frischeren' weißen Rasse
und den 'kulturlosen' "Schwarzen" - und das angeblich in
größtmöglicher Detailtreue.

Die aus Windhoek stammende Neuauflage von Frenssens Roman nun weist in
der Tat ein (von Brehl trotz seiner Beweiskraft nicht einmal
zitiertes) Vorwort eines gewissen Dr. K.F.R. Budack auf, das dem Text
abermals den "dokumentarischen Wert einer glaubwürdigen
Milieuschilderung" bescheinigt und anhand seiner neuerlichen
Kenntnisnahme durch geneigte Leser für eine "verständnisvolle"
Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kolonialgeneration plädiert.
Unter anderem geht Budack davon aus, dass es sich bei dem längst
hinlänglich historisch belegten Genozid an den Herero bloß um eine
"verbreitete Clichévorstellung von einem Völkermord" handele, die die
"allzu früh verstorbene" Leiterin des Namibianischen Nationalarchivs,
Brigitte Lau, "widerlegt" habe. So möchte Budack mittels einer
emphatischen Relektüre von Frenssens Roman für die Einsicht werben,
dass der Krieg der deutschen "Schutztruppe", die er übrigens nicht in
Anführungsstriche setzt, "durchaus kein Spaziergang" gewesen sei,
"sondern ein lebensgefährliches, strapaziöses Unternehmen, das vielen
den Tod brachte". Der Autor schließt sein offenes Plädoyer für eine
solche Täter-Opfer-Umkehr mit den Worten: "Im gewissen Sinne sind wir
dazu befähigt, weil wir trotz aller zeit- und milieubedingten
Unterschiede der Generation unserer Urgroßväter in Mentalität und
Denkweise ähnlicher sind, als wir es wahrhaben wollen."

Wer Brehls Buch gelesen hat, glaubt das gern. Belegt der
Genozidforscher doch, dass typische rassistische Imaginationen
mörderischer Herero, die friedliche deutsche Kolonistenfamilien als
herumvagabundierende, zerstreute Volksmasse bedrohten, sogar noch in
einem Bestseller-Fantasyroman von 1999 belegbar sind - nämlich in Kai
Meyers Buch "Die Göttin der Wüste". Meyers Text schließe offen an ein
"zentrales Grundmuster der kolonialen Rede über die Etablierung und
Bewahrung kollektiver Identität" an: die innere Festigung eines weißen
Kollektivs im gemeinsamen Verteidigungskampf gegen "mordende und
brandschatzende Herero-Horden" (Meyer).

Brehls Studie ist damit ein wichtiger Beitrag, an dem sowohl in den
"Postcolonial Studies" als auch der deutschen Kolonialhistoriografie
so bald niemand mehr vorbeikommen dürfte. Besonders aber auch für die
noch in den Kinderschuhen steckende literaturwissenschaftliche
Erforschung des 'vergessenen' Werks des Volksschriftstellers Gustav
Frenssen ist die Arbeit ein veritabler Meilenstein: Brehl bündelt die
bisherigen Erkenntnisse zu Frenssens paradigmatischem Text "Peter
Moors Fahrt nach Südwest" und führt sie im Sinne seiner Analyse auf
erhellende Weise weiter, um zu zeigen, dass der Roman bis 1945 (und
für bestimmte Kreise offenbar weit darüber hinaus) die "gültige
Erzählung über den Herero-Krieg" blieb. Mehr kann man von einer mit
nur 256 Seiten inklusive Anhang für ihr ehrgeiziges Ziel erstaunlich
knapp und stringent geschriebenen Studie wahrlich nicht verlangen.

Medardus Brehl: Vernichtung der Herero. Diskurse der Gewalt in der
deutschen Kolonialliteratur.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2007.
256 Seiten, 28,80 EUR.
ISBN-13: 9783770544608




More information about the Pynchon-l mailing list