Thomas von Steinaecker

Otto ottosell at googlemail.com
Sun Oct 18 10:19:37 CDT 2009


Tropen mit Kuckucksuhr

So beginnen Abenteuerromane: „Die Verrückten meinen es ernst. Bei
jeder Kugel, die dicht neben ihm im Boden einschlägt und Staub
aufwirbelt, zieht Colonel Durand hinter dem Dornbusch den Kopf ein…
Was aber, sacré culot, verteidigen diese Verrückten jetzt in dieser
gottverlassenen Gegend?“ – Die Antwort: Einen Traum, und ihre Hoffnung
auf ein anderes Leben, ein besseres, so denken die meisten, als das in
der deutschen Heimat Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Verrückten, das
sind deutsche Kolonisten in der fiktiven afrikanischen Kolonie Tola.
Deren Plan ist es, aus der Festung Benesi eine blühende Stadt zu
machen: mit einem urdeutschen Wald vor der Tür.

Die actiongeladene Szene – der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen – am
Anfang markiert bereits das Ende. Der Kreis hat sich auf Seite eins
geschlossen, darin eingeschlossen die Lebensgeschichten von Menschen,
die ihr Glück suchen in der Ferne – und auf die Kuckucksuhr nicht
verzichten wollen.

Henry Peters zum Beispiel. Er erleidet Schiffbruch, verliert dabei
seine Geliebte und klaut sich eine neue Identität, die seines Mentors:
Als Star-Architekt Gustav Selwin, auch der ist ertrunken, beginnt er
modernistische Pläne zu schmieden, für eine Stadt, gebaut in drei
konzentrischen Kreisen.

Da ist Gerber, der Forstunternehmer, schon immer über Kreuz mit seinem
Vater, der ihn für unfähig hielt, und ihm das Holzimperium im
Bayrischen hinterließ, nicht ohne ihm einen Verwalter vor die Nase zu
setzen. Gerbers Schwester Käthe wiederum ist nicht mehr
gesellschaftsfähig nach einer gescheiterten Ehe mit einem Stoffhändler
aus Danzig. Es gibt den Arzt, der in einer solch exotischen Geschichte
nicht fehlen darf, ein Morphinist.

Thomas von Steinaecker erzählt ihre Vorgeschichten. Das aber manchmal
zu ausführlich: Die Motive der Protagonisten und der Treibstoff ihrer
Träume sind schnell klar. Stärker ist der Erzähler, wenn er uns
unmittelbar ins „Schutzgebiet“ für seine verkrachten Existenzen führt,
deren individuelle Träume Puzzlestücke der (damaligen) kollektiven
Utopie sind: auch ins „Herz der Finsternis“ (ja, auch an Joseph Conrad
mag man bei der Lektüre denken) Technik und Kommerz (gleich:
Zivilisation) zu tragen. Wenn er die imperialistische
Herrenmenschen-Attitüde entlarvt: Dort wird Tennis gespielt, während
ein paar Meter weiter die Leiche eines brutal bestraften Schwarzen im
Baum verwest.

Wenn er zeigt, wie seine Protagonisten taumeln zwischen Wirklichkeit
und Wahnsinn unter Bedingungen, denen sie sich nicht anzupassen
vermögen. Dabei adaptiert Steinaecker durchaus Bekanntes, nämlich
unter anderem den deutschen Kolonialroman, der seine Blüte vor hundert
Jahren erlebte. Schon Frieda von Bülow schrieb in ihrem „Tropenkoller
– Episode aus dem deutschen Kolonialleben“ 1896 davon, wie die
Deutschen versuchen, in Afrika Tannenbäume anzupflanzen.

Aber von Steinaecker covert das Genre nicht einfach: er überhöht die
tatsächlichen Gegebenheiten zu einer Art Hyperrealismus, indem er das
historisch Verbürgte stets erweitert durch Enklaven aus einer Art
Parallelwelt, in der er der literarischen Fantasie auf wunderbare,
witzig-ironische Weise freien Lauf lässt: Da tauchen in „Schutzgebiet“
deutsche Eremiten auf, die glauben, in Afrika einen Schauplatz des
Alten Testaments entdeckt zu haben und den Versuchungen des Teufels
widerstehen wollen. Da liest man von einem mysteriösen Luftfahrzeug,
gebaut von einem amerikanischen Millionär zusammen mit einer Handvoll
Anarchisten.

Wer sich auskennt, denkt da übrigens gleich an den letzten Roman des
amerikanischen Genre-Mixers (und -Parodisten) Thomas Pynchon „Gegen
den Tag“, in dem ein Luftschiff plus Bordhund eine wichtige Rolle
spielt (bei Steinaecker ist es „Buck“). Auch der hat in seinen Romanen
den Ideen und Erfindungen der technischen und ökonomischen Moderne und
den Gespenstern in ihrem Schatten nachgeforscht mit eben jener
Mischung aus Fakten und überbordender Fiktion. Durchaus in seinen
Fußstapfen ist Steinaecker unterwegs.

Aber, um sofort die Besserwisserei von Viellesern und
Literaturfachmenschen ad acta zu legen: Steinaecker ist und bleibt
trotzdem ein Origineller. Sein Roman ist spannend, ist prall und doch
enorm tiefschürfend. Denn die alte Geschichte, die er so süffig
erzählt, ist eine brandaktuelle Krisengeschichte. Er zeigt, was
passiert, wenn Menschen in ihrer eitlen Anmaßung das Maß verlieren:
Die Hybris wird bestraft. Bei Steinaecker walzt erst eine Feuerwalze
den Traum hinfort, dann der Krieg. (Von Stefan Sprang)

http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11633872/1174144/Tropen-mit-Kuckucksuhr.html

Thomas von Steinaecker, "Schutzgebiet"
Frankfurter Verlagsanstalt; Auflage: 1 (24. August 2009)

http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_von_Steinaecker
(no English site yet)




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