Walter Benjamin im Umfeld der (IG) Farben
Otto
ottosell at googlemail.com
Sat Jun 2 23:51:26 CDT 2012
Walter Benjamin im Umfeld der (IG) Farben
Vortrag an der JW Goethe Universität, Frankfurt, May 2006
(...)
Falsche Regenbogen
In Thomas Pynchons Die Enden der Parabel (was sich auf Englisch
Gravity’s Rainbow heißt) spricht ein Charakter von einer explosiven
Lenkwaffe, deren Annäherungsgeräusch sich nur nachher hören lässt. Das
Entsetzen, das die Waffe erzeugt, ist nicht nur ein Terror vor seiner
destruktiven Gewalt. Es ist auch ein Ergebnis seiner Umkehrung der
natürlichen Ordnung der Dinge. Durch die Wissenschaft ist die Welt
umgestülpt. Solche Umkehrung ist das normale Werk der Wissenschaft,
wie vorgestellt wird in Pynchons paranoide Vision der Kriegszeit, wo
‚Ideen des Gegensatzes’ die technischen Entwicklungen beleben. ‚Ideen
des Gegensatzes’ bewohnen die Wissenschaft, die Pynchon aufspürt, wie
auch die wissenschaftlichen Untersuchungen der großen chemischen
Firmen, die sich auf der Herstellung der künstlichen Farbstoffen
basierten, und die später beim zweiten Weltkrieg eine zentrale Rolle
gespielt haben.
Chemische Reaktionen führen Gegensätze zusammen. Sie tauschen
Bestandteile aus, um Stoffen herzustellen. Und zwar, um spezifisch zu
reden, die synthetische Herstellung aller Farben des Regenbogens
tretet aus seinem Gegensatz hervor: aus die schwarze Dunkelheit der
Kohle. Diese Verwandlung des Schwarzes in die Farbe ist Teil eines
anderen antithetischen Verfahrens: die Anstrengungen der Chemie
sämtliche Abfallstoffe zu verwerten. Dieses Streben hat letzten Endes
noch andere Folgen: die Natur in toto wurde in sein künstliches
Gegenteil verwandelt. Alles was auf der Welt ist ist natürlich, aber
man kann auch sagen das die industrielle Fertigung der komplexen
Verbindungen mancherlei Ersatzartikel, Surrogate, Kopien und Analogen
zur Welt bringt, die auf immer synthetisch scheinen und bleiben.
In Pynchons Die Enden der Parabel spricht vom Grabe, während eine
spiritistischen Sitzung, Walter Rathenau, ehemaliger deutscher
Außenminister und, wie Pynchon ihn nennt, ‚Prophet and Architekt des
kartellierten Staats’. Sein Publikum enthält verschiedene Nazis und
einen Direktor IG Farbens. Rathenau spricht von zwei Stoffen: die
beiden Grundmaterialien der industriellen Revolution, die er als
qualitative Gegensätze betrachtet. Er sagt:
Consider coal and steel. There is a place where they meet. The
interface between coal and steel is coal-tar. Imagine coal, down in
the earth, dead black, no light, the very substance of death. Death
ancient, prehistoric species we will never see again. Growing older,
blacker, deeper, in layers of perpetual night. Above ground, the steel
rolls out fiery, bright. But to make steel, the coal tars, darker and
heavier, must be taken from the original coal. Earth’s excrement,
purged out for the ennoblement of shining steel. Passed over.
Der dunkle Extrakt der Kohle, ein Abfallsstoff, wurden durch die
Fertigung des glänzenden Stahls gewonnen. Dieser Rest konnte wiederum
noch unerwartete Verwandlungen hervorbringen, wie zum Beispiel den
ersten synthetischen Farbstoff, Perkins Mauve. Rathenaus Beschreibung
der Aktivitäten in den Tiefen der Erde ist bombastisch, jedoch findet
man ähnliche Berichte in vielen Geschichtsbüchern, die von der Chemie
erzählen. Solche Bücher waren Vorlagen für Pynchon. Für den die
Geisterstimme Rathenaus ist die Bedeutung der Steinkohlenteer
mystisch.
A thousand different molecules waited in the preterite dung. This is
the sign of revealing. Of unfolding. This is one meaning of mauve, the
first new color on Earth, leaping to Earth’s light from its grave
miles and äons below.
Rathenau spricht aus dem Reich das Töten, er spricht aber auch vom
Tode. Die tausenden von Molekülen geben mit der Zeit eine lange Reihe
Ersatzstoffe von sich. Abfall verwandelt sich in den Wert durch einen
Handlungsprozess, der sich an die Alchemie erinnert. Rathenau äußert
einen Warnruf. Erfüllt dabei ist keine Entzifferung der Kode des
Lebens, sondern eher die Polymerisation ein paar toten Molekülen.
Rathenau, Sohn eines Industriellen, der die Firma AEG gegründet hat,
bemerkt trostlos daß das IG Kartell sich entwickelt als ob es ein
organisches Wesen sei, aber in der Tat ist es ‚tief und tot’. Der Tod
ahmt das Leben nach und verfestigt damit seine eigene Herrschaft. Ihm
entsprießen Schloten die die neusten Sprengungen überleben können. IG
Farben ist eine Struktur die den Tod befördert.
Death converted into more death. Perfecting its reign, just as the
buried coal grows denser, and overlaid with more strata - epoch on top
of epoch, city on top of ruined city. This is the sign of Death the
impersonator.
Kohle, Stahl, Steinkohlenteer, Kunstfertigkeit, Synthese, Ersatz,
Macht, Krieg, Tod – diese Grundstoffe binden sich in der dunklen
Wissenschaft von Pynchons chemischen Kartell um Ketten der
Abhängigkeit zu formen. Die Wissenschaft ist das Thema, aber die
Zauberei ist die eigentliche Macht, die hier angerufen wird. Durch die
Karbonchemie der Kohle und seinen Abfallsprodukt Steinkohlteer, ist
eine Reich der synthetischen Farben und Stoffen aus einer primitiven
Dunkelheit aufgeschlossen. Die erste magische Tat bringt die Farbe aus
Steinkohlenteer hervor. Das ist die erste von tausenden Ersetzungen.
Die Magie ist eine schwarze Kraft. Die narrativen Fäden in ‚Das Ende
der Parabel’ sind in einer Welt der Akronymen und Neuworte, echte und
unechte, losgelassen: SPQR, ARF, MMPI, SOE, SPOG, CIOS, BAFO, NTA,
SHAEF, PWD, CNS, PISCES, VIAM, TsAGI, NISO, BAFO, OKW, ACHTUNG,
Kryptosam, Hexeszüchtigung, ctenophile, Oneirine. Diese klappern wie
böse Zauberformel aus einem Handbuch für Geisterbeschwörer. Die
klumpigen Worte buchstabieren die Koordinaten der militärischen,
wirtschaftlichen und technischen Macht. Die wichtigsten aus diesen
rätselhaften Formeln, die Akronymen die den Regenbogen erstellen, und
auch seinen Bogen nachspüren, sind die Farbfabriken IG Farben und die
deutschen Raketenwaffe, die V-1, V-2 oder A4. Pynchon bringt diese
zwei industriell-technologischen Mächte in die Nähe der Magie,
Mystizismus und die Alchemie. Seine Aussicht teilt einiges mit der
Behauptung Adorno und Horkheimer, die geschrieben wurde als die Bomben
über Europa fiel: der Ablauf der Aufklärung, ihre Rationalisierung,
ihre technische Ratio, hat eine dialektische Rückseite, das heißt die
Aufklärung ist auch sein eigener Gegensatz. Die Aufklärung verkleidet
sich als an die Wissenschaft orientiert, ist aber, in der Tat,
irrational, zauberhaft, und im Mythos verwickelt. Dieser Zauber, die
unterdrückt wird, baut sich in eine bösartige Gewalt um.
Die Gegensätzen, Ersatzstoffe und Umkehrungen, die mein Buch aufspürt,
sind vielfältig und die Themen häufen sich so willkürlich an, wie sie
auch bei Pynchon auch tun. Hier auch werden Zusammenhänge und
Verkettungen ausgesucht, wie zum Beispiel zwischen die Farbkreise von
Träumer aus der achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, wie zum
Beispiel Goethe and Philipp Otto Runge, das Regenbogen der
synthetischen Farben und das Bogen der V-2 Raketen.
(...)
http://www.militantesthetix.co.uk/polemix/igfarben.html
More information about the Pynchon-l
mailing list