Not Pynchon but Assange
Kai Frederik Lorentzen
lorentzen at hotmail.de
Wed Jan 29 11:25:34 UTC 2020
+ 28 January 2020. The Parliamentary Assembly of the Council of Europe (PACE) has called on member states to oppose the extradition of WikiLeaks founder Julian Assange to the United States and resolve that “he must be promptly released.” Assange is fighting extradition to the United States in an unprecedented Espionage Act prosecution for journalistic activity. His extradition hearing opens at Woolwich Crown Court in London on 24 February 2020 ... +
https://bridgesforfreedom.media/council-of-europes-parliamentary-assembly-calls-for-assanges-prompt-release/
https://multipolar-magazin.de/artikel/der-journalist-als-staatsfeind
Paul Schreyer:
+ ... Assange ist kein Whistleblower, niemand, der wie Edward Snowden persönlich in einer Firma oder einer Behörde geheimes Wissen über Missstände erlangt hat und dieses öffentlich machen will. Assange ist selbst keine Quelle, sondern, wie ein Journalist, jemand, der Informationen von Whistleblowern veröffentlicht.
Ähnlich fragwürdig ist das Argument, WikiLeaks betreibe keinen Journalismus, da die Organisation keinen „redaktionellen Ablauf“ („editorial process“) habe, und „nicht wie ein Nachrichtenportal“ arbeite. Das Wesen von Nachrichtenportalen besteht offenkundig nicht in bestimmten redaktionellen Gepflogenheiten sondern in der Veröffentlichung relevanter Neuigkeiten – was niemand WikiLeaks absprechen kann.
Die Einteilung in Journalisten auf der einen und Assange auf der anderen Seite wirkt wie ein rhetorischer Kniff, der es ermöglicht, sich von WikiLeaks zu distanzieren und zugleich als Verteidiger der Pressefreiheit aufzutreten – eine Position, die vielen Journalisten offenbar zweckmäßig erscheint. In ihrer Logik ist Assange „keiner von uns“, wird zwar zu Unrecht verfolgt, aber eben nur insoweit, wie auch Snowden, Manning und andere Whistleblower verfolgt werden. Diese Perspektive verträgt sich eher mit der Sichtweise von Regierungen, als der weitaus härtere und konfliktträchtigere Vorwurf, mit Assange werde ein unbequemer Vertreter der Presse vor Gericht gestellt.
Das CPJ ist Teil des Medienmainstreams und unterhält enge Verbindungen zu den großen Medienhäusern, die die Organisation auch finanziell unterstützen. Schon als die CPJ-Führung 2010 in einem Brief an Präsident Obama die Regierung vor einer Anklage des WikiLeaks-Chefs warnte<https://cpj.org/2010/12/cpj-urges-us-not-to-prosecute-assange.php>, distanzierte man sich im selben Atemzug von der Person Assange, dessen „Motive und Ziele“ man sich „nicht zu eigen“ mache.
Doch ob man Assange nun mag oder nicht – seine komplizierte und widersprüchliche Persönlichkeit<https://www.lrb.co.uk/the-paper/v36/n05/andrew-o-hagan/ghosting> bietet durchaus Anlass zu letzterem –, er ist es, der stellvertretend für eine kritische Presse angegriffen wird. Man kann ihn für einen guten oder schlechten Journalisten halten, man kann seine politischen Vorstellungen teilen oder bekämpfen – aber er bleibt in dem, was er und WikiLeaks tun, ein Teil der Presse.
Ähnlichen Sinnes betont<https://www.washingtonpost.com/outlook/2019/05/28/indictment-assange-is-blueprint-making-journalists-into-felons/> auch der Reporter Glenn Greenwald, dass die Einteilung in Journalisten und Nicht-Journalisten der Regierung und deren Angriff auf die Verfassung in die Hände spiele:
„Die Pressefreiheit betrifft alle, nicht bloß eine ausgewählte, privilegierte Gruppe von Bürgern, die ,Journalisten‘ genannt werden. Wenn Ankläger selbst entscheiden können, wer unter den Schutz der Presse fällt und wer nicht, dann schrumpft die Pressefreiheit zur Freiheit einer kleinen, abgeschlossenen Priesterklasse privilegierter Bürger, die von der Regierung zu Journalisten ernannt werden.“
Greenwald erinnert an eine höchstrichterliche Einschätzung zum Ersten Verfassungszusatz<https://de.usembassy.gov/de/meinungsfreiheit-4/>, der in den USA die Pressefreiheit festschreibt. So hatte 1978 der damalige Oberste Richter der USA, Warren Burger, in einem Essay betont<https://www.nytimes.com/1978/04/28/archives/burger-and-press-freedom-chief-justice-in-unusual-move-gives.html>:
„Kurz gesagt, der Erste Verfassungszusatz ,gehört‘ zu keiner definierbaren Kategorie von Personen oder Einrichtungen: Er betrifft alle, die seine Freiheiten nutzen.“
Historisch gesehen steht das Wort „Pressefreiheit“ dafür, dass Regierungen nicht die Verbreitung von Informationen behindern dürfen, egal ob die Nachrichten mittels einer Druckerpresse oder über das Internet publiziert werden. Es geht dabei nicht um eine Personengruppe („die Presse“), sondern um die Möglichkeit der unbeschränkten Verbreitung von Informationen. Wenn erst eine staatliche Autorität entscheiden darf, wer durch die Pressefreiheit geschützt ist, dann ist keine unabhängige Kontrolle der Regierung möglich, und damit auch keine funktionierende Demokratie ...
... Der direkte und anonyme Weg an die Öffentlichkeit ist wesentlich, um Korruption und Unmoral in Staaten und Konzernen zu begrenzen. Das durch WikiLeaks verkörperte Organisationsprinzip ist damit ein logischer Schritt in der Entwicklung von Gesellschaften, in denen Entscheidungsträger der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig sein sollen – also in der Entwicklung hin zu Demokratien. Wer das WikiLeaks-Prinzip bekämpft oder sich weigert, seine Unterstützer zu verteidigen, der hat offenkundig kein Interesse an einer solchen Entwicklung. Das ist die eigentliche Botschaft der politischen und juristischen Verfolgung von Julian Assange, die im April 2019 in seiner Inhaftierung in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis mündete.
Die Anklage der US-Regierung beruft sich auf das Spionagegesetz<https://en.wikipedia.org/wiki/Espionage_Act_of_1917>, das den Verrat militärischer Geheimnisse unter Strafe stellt. Dieses Gesetz wurde 1917, kurz nach dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, beschlossen. Es richtete sich ursprünglich gegen deutsche Saboteure in Amerika und Bürger, die, so der damalige Präsident Woodrow Wilson, „das Gift der Untreue“ verbreiteten und „die Autorität und das Ansehen der Regierung in Verruf“ brächten.
Die Regierung wandte es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig gegen Sozialisten, Kriegsgegner und politische Dissidenten an. In jüngerer Zeit, unter den Präsidenten Obama und Trump, zielten die Ermittlungen meist auf Whistleblower, die illegale Aktivitäten der Regierung aufgedeckt hatten. Zur aktuellen Anklage erläutert<https://www.justice.gov/opa/pr/WikiLeaks-founder-julian-assange-charged-18-count-superseding-indictment> das US-Justizministerium: „Assanges Handlungen riskierten ernsthaften Schaden für die nationale Sicherheit der USA, zum Nutzen unserer Gegner“.
Dabei ist Assange australischer Staatsbürger und außerhalb der USA selbstverständlich nicht an amerikanische Gesetze gebunden. Die gesamte Anklage beruht daher auf der stillschweigenden, juristisch absurden Annahme, amerikanisches Recht gelte auch außerhalb der USA. Mit der gleichen Logik könnten amerikanische Staatsanwälte einen chinesischen Journalisten anklagen, der in einer Pekinger Zeitung amerikanische Staatsgeheimnisse aufgedeckt hat und dessen Auslieferung nach Washington verlangen. Eine seltsame Vorstellung, die selbst in den USA niemand in die Realität umsetzen würde.
Das Beispiel zeigt daher gut die eigentliche Logik hinter der Strafverfolgung Assanges: Die USA beanspruchen einen informellen Rechtsrahmen, der die Landesgrenzen überschreitet und praktisch den Geltungsbereich des amerikanischen Imperiums umfasst. Anders gesagt: Australier, Europäer und überhaupt Bürger von Staaten, die den USA tributpflichtig oder anderweitig von ihnen abhängig sind, sollen sich politisch an Amerikas roten Linien ausrichten, oder laufen Gefahr, bestraft zu werden. Das ist die Logik des Imperiums, der sich viele bereitwillig unterwerfen.
So hatte die damalige australische Premierministerin Julia Gillard 2010, auf dem Höhepunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit für WikiLeaks, erklärt, Assange handele „illegal“, eine Behauptung, die sie zurückziehen musste<https://www.abc.net.au/news/2010-12-17/gillard-under-pressure-to-explain-WikiLeaks/2378550>, nachdem man ihr erklärt hatte, dass Assange mit seinen Enthüllungen kein australisches Gesetz gebrochen hatte. Doch Gillard, selbst Anwältin, hatte mit ihrer Formulierung bloß intuitiv erfasst, dass Australien als informeller Teil des amerikanischen Imperiums genau das als illegal zu begreifen hat, was Washington so benennt.
Ein weiteres Beispiel für diese Logik sind die von den USA im Dezember 2019 verhängten Sanktionen gegen Firmen, die am Bau der deutsch-russischen Gaspipeline „Nord Stream 2“ beteiligt sind. Rechtlich geht es die USA nichts an, wenn zwei Länder beschließen, eine Pipeline zu bauen. Da das Projekt aber Deutschland betrifft und damit im informellen Geltungsbereich des amerikanischen Imperiums liegt, verstehen sich die USA als ermächtigt zu Strafmaßnahmen.
Der Fall Assange liegt grundsätzlich ähnlich. Neu ist, dass der Angriff des Imperiums sich nicht mehr nur gegen ungehorsame Untertanen, missliebige Regierungen oder Firmen richtet, sondern ganz offen gegen die internationale Presse ... +
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