Plastic in literature (Pynchon, Brinkmann, Barthes)
Kai Frederik Lorentzen
lorentzen at hotmail.de
Wed Jun 24 10:22:31 UTC 2020
"Plastic serpents crawled endlessly to left and right. (...) Great
curtains of styrene or vinyl, in all colors, opaque and transparent,
hung row after row from overhead. They flared like the northern lights."
(Gravity's Rainbow, p. 487)
+ ... In »Mythen des Alltags« schrieb Roland Barthes 1956 über die
»magische Materie« Kunststoff: »Die Mode des Plastiks zeugt von einer
Entwicklung im Mythos der Imitationen. Bisher gehörte sie zu einer Welt
des Scheinens, nicht des Gebrauchs. Die Imitation nimmt sich vor, mit
geringeren Kosten die edelsten Substanzen zu reproduzieren, den
Edelstein, die Seide, die Feder, den Pelz, das Silber, den ganzen
luxuriösen Glanz der Welt. Das Plastik verzichtet darauf, es ist eine
Haushaltssubstanz. Es ist die erste magische Materie, die zur
Alltäglichkeit bereit ist.«
Gerade aufgrund dieser Alltäglichkeit blieb das Plastik suspekt,
Werbekampagnen von Kunststoffherstellern dieser Zeit zeigen das Bemühen,
der Bevölkerung die Ängste vor der Hexerei der Chemiker zu nehmen.
Dieses Unbehagen am Plastik findet sich in Spuren bis in die Gegenwart,
allerdings in einer transformierten Form: als Angst vor der
Plastikgesellschaft, die damals von Adorno und Horkheimer noch
»Kulturindustrie« genannt wurde, um damit jene standardisierte Kultur zu
beschreiben, die standardisierte Menschen nach sich zieht. Jene »Plastic
People«, 1967 von Frank Zappa in die Popkultur eingeführt, die sich
gedankenlos in die künstlichen Warenparadiese einfügen, in denen der
Konsument zu einem ebenso anonymen und identitätslosen Artikel wie das
Plastikprodukt selbst wird. Angepasst und entfremdet führt er ein
synthetisches Plastikleben, die Werbung verspricht ihm die Befriedigung
seiner Plastikbedürfnisse ...
... Im gleichen Jahr wie Zappa beschrieb Rolf Dieter Brinkmann in seinem
Gedicht »Plastik« ebenfalls die Verwandlung eines Menschen vom
lebendigen Subjekt - einer Frau, die vor ihm läuft - in ein lebloses
Objekt: »Wie / ein Ding / und mehr, bis sie / endgültig / verschwindet.«
Die Plastikwelt blieb bis zu seinem frühen Tod 1975 Thema. Im posthum
erschienenen Gedichtband »Westwärts 1 & 2« hat Brinkmann sich ebenfalls
der Plastikmenschen in der »ramponierten Schaubude der Gegenwart«
angenommen: »Lange, graue Warteräume sind die Tage, und die
ausgeräuberten Träume setzen sich als elektrisch ausgeleuchtete
Supermärkte fort«, schreibt er da über die ihn umgebende Gesellschaft ...
... Ab 1957 konnte man in Disneyland das Monsanto House of the Future
besichtigen, ein Haus, das so aussah, wie man sich damals die Zukunft
des Jahres 1986 vorstellte und das sich vor allem durch eines
auszeichnete: die mit dem Plastik verbundene Flexibilität. Auch
Architekturexperimente wie das finnische Futuro waren erst mit der
Etablierung von Plastik als Alltagsmaterial möglich geworden. Das aus
mit Glasfiber versetztem Polyester hergestellte Haus war leicht zu
transportieren, um die mit dem Zeitgeist der Sechziger verbundene neue
Mobilität zu ermöglichen. Bevor 1973 die Ölkrise den Preis von Plastik
in die Höhe getrieben und die im Laufe der 70er aufkommende
Umweltbewegung die problematischen Seiten von Plastik in den Mittelpunkt
gestellt hat, hatte Kunststoff ein emanzipatorisches Potenzial, war
Trägerstoff diverser Utopien, Mittel für ein neues Zusammenleben und
eine neue Gesellschaft.
Dieses Science-Fiction-Element von Plastik hat auch auf die Literatur
dieser Zeit zurückgewirkt, was den amerikanischen Literaturkritiker Gore
Vidal zum Essay »American Plastics« inspiriert hat. Darin kritisiert er
vor allem Thomas Pynchons 1973 erschienenen Roman »Die Enden der
Parabel« als künstlich und lebensfern - eine Kritik, der sich auch das
Plastik immer wieder ausgesetzt sah. Und in der Tat erzählt Pynchon in
dem Roman intensiv vom Plastik, lässt sämtliche mit dem Kunststoff
verbundene Diskurse des 20. Jahrhunderts in die Geschichte um den
amerikanischen Leutnant Tyrone Slothrop einfließen, der anscheinend eine
seltsame Eigenschaft besitzt, denn in sämtliche Häuser seiner
Liebesaffären im London des Jahres 1944 schlagen V2-Raketen der Nazis
ein. Der obskuren Verbindung zwischen seiner Sexualität und der
Wunderwaffe der Nazis versucht er im Roman auf die Spur zu kommen. Als
Ursache stellt sich eine Konditionierung Slothrops heraus, die er als
Kind durch den Erfinder des mysteriösen Plastiks Imipolex G erfahren
hat, den IG-Farben-Mitarbeiter Lazslo Jamf. Imipolex G hat erotische
Qualitäten, es ist das erste Plastik, das »im eigentlichen Sinn de
Wortes erektil ist«. Die deutsche Schauspielerin Greta Erdmann
beschreibt im Roman gar die orgiastischen Qualitäten des Plastiks, wenn
es ihre Haut berührt. Pynchon zeigt im Roman vor dem Hintergrund der
letzten Kriegstage und der engen Verflechtung der IG Farben mit dem
Nationalsozialismus zwei unterschiedliche Kämpfe von Plastikmenschen
gegen ihr Schicksal.
Greta Erdmann genießt es, dominiert und kontrolliert zu werden - in
sexueller wie auch politischer Hinsicht. Sie geht voll in den Strukturen
des NS auf, und gerade das erotische Imipolex lässt sie ihre
Persönlichkeit vollends aufgeben und vergessen. Während des
»Plastikorgasmus« denkt sie: »Ich hielt nichts zurück. War dies also die
Unterwerfung - all dies fallen zu lassen?« Sie sehnt sich danach, in
jeder Hinsicht zum Plastikmenschen zu werden. Im Gegensatz dazu versucht
Tyrone Slothrop, sich vom Plastikmenschendasein und von der
Konditionierung durch den wahnsinnigen Chemiker Lazslo Jamf zu befreien.
Der Roman beschreibt auf über tausend Seiten den Kampf Slothrops
dagegen, fremdgesteuert zu sein und nicht über die eigene Sexualität
verfügen zu können. Und er gewinnt seinen Kampf, wenn er sich auch dafür
buchstäblich auflösen muss, eine Eigenschaft, die Plastik in der
Realität nicht besitzt. Slothrop aber verschwindet, zersetzt sich, geht
dem Roman verloren. Und so bietet »Die Enden der Parabel«, das die
Materialität von Plastik in allen Facetten beleuchtet und ihm sogar eine
erotische Komponente einschreibt, auch dem Plastikmenschen einen Weg
heraus: irgendwohin ins Nichts, zu den Plastic People of the Universe. +
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1058876.plastiktuetenmenschen.html
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