Sloppy accusation - a review on Edwin Black's book - in German

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Tue Feb 20 09:59:42 CST 2001


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Schlampige Anklage
Der Amerikaner Edwin Black wirft IBM eine Mitverantwortung am Holocaust vor, 
doch sein schlecht recherchiertes Buch bietet vor allem eins: Desinformation
Von Sven Felix Kellerhoff

Es gib viele Gründe, Bücher über Geschichte zu schreiben. Statistisch am 
häufigsten dürfte der Wunsch angehender Wissenschaftler sein, sich für höhere 
akademische Weihen zu qualifizieren. Fast genauso oft liegt das Motiv im 
Streben nach Erkenntnissen über die Vergangenheit. Von wachsender Bedeutung 
ist der Drang, eigene Erlebnisse für die Nachwelt festzuhalten. Die ständig 
anschwellende Flut von Autobiografien, Memoiren und edierten Tagebüchern 
beweist das. Schließlich gibt es Polemiken - streitlustige Bücher, die durch 
bewusste Verkürzungen Debatten lostreten. Manchmal sind solche Bücher 
nützlich, weil die seriöse Wissenschaft durch provokative Zuspitzungen zur 
Stellungnahme gezwungen wird. Doch in jüngerer Zeit machten mit dieser 
Methode vor allem Daniel J. Goldhagen und Norman G. Finkelstein negative 
Schlagzeilen.

Seit dieser Woche kennen wir einen weiteren Grund, historische Bücher zu 
schreiben: Unter bestimmten Umständen eignen sie sich glänzend als Grundlage 
für Schadensersatzklagen vor amerikanischen Gerichten. Der Autor Edwin Black 
führt das mit seinem voluminösen, jetzt zeitgleich in 25 Ländern erschienenen 
Titel «IBM und der Holocaust» vor. Eine genau koordinierte Kampagne 
garantierte dem Titel viel Aufmerksamkeit in den Medien - vom ZDF bis zum 
Spiegel.

Blacks These lässt aufhorchen: «IBM leistete die unerlässliche technische 
Hilfestellung, die das Dritte Reich benötigte, um zu realisieren, was nie 
zuvor vollbracht worden war: die Automatisierung der Vernichtung menschlichen 
Lebens.» Auf knapp 700 Seiten versammelt Black viel Material, um seine These 
zu beweisen.

Tatsächlich ist über die Geschäftsbeziehungen des US-Konzerns zu 
Nazi-Deutschland viel Kritikwürdiges zu sagen. So ließ sich IBM-Chef Thomas 
J. Watson 1937 von Adolf Hitler einen Orden verleihen. IBM investierte 
kräftig in Deutschland, und die Nazis belohnten dieses Engagement mit 
Großaufträgen: Ohne die IBM-Lochkartenzähler, nach ihrem Erfinder 
Hollerith-Maschinen genannt, wären die großen Volkszählungen in Deutschland 
1933 und 1939 unmöglich gewesen. Dabei wurden exakte Daten über die 
«wehrfähigen» Männer, aber auch über den jüdischen Teil der deutschen 
Bevölkerung erhoben. Durch dieses Material fiel es später Gestapo und SS 
leichter, deutsche Juden zu isolieren, zu berauben und zu deportieren. An den 
Geschäftsbeziehungen zum Dritten Reich hielt Watson auch noch nach der 
«Reichskristallnacht» und sogar nach dem Überfall auf Polen fest - seinen 
Orden immerhin gab der Konzernchef 1940 offiziell zurück.

Doch Edwin Black beschränkt sich nicht darauf, den Missbrauch der damals 
modernsten Technik zur Datenverarbeitung durch NS-Fanatiker und das im 
Rückblick verwerfliche Gewinnstreben von Thomas Watson zu geißeln. Er 
konstruiert eine Mitverantwortung der deutschen IBM-Tochter Dehomag und damit 
des US-Konzerns insgesamt am Holocaust. Seine Anklage liest sich auf den 
ersten Blick schlüssig: In allen größeren KZs hätten Hollerith-Maschinen die 
Häftlingskarteien verwaltet. In Buchenwald wären Hunderttausende Karten durch 
die Zählmaschinen gerattert, in Flossenbürg habe es eine gut ausgestattete 
Hollerith-Abteilung gegeben, und in Mauthausen habe die am meisten 
beschäftigte Lochkartenabteilung gelegen. Sogar die Fahrpläne der Todeszüge 
nach Auschwitz seien, so Black, mit Hollerith-Maschinen erstellt worden. Die 
Anklage gegen IBM gipfelt in folgendem Satz: «Hollerith-Codierungen, 
-Zusammenstellungen und -Sortierungen hatten den Nationalsozialisten den bis 
dahin einmaligen Sprung von der individuellen Vernichtung zum Völkermord 
ermöglicht.»

All das ist jedoch Unsinn. Hinweise auf mechanische Datenverarbeitung in den 
Konzentrationslagern sind dünn gesät. In jedem Fall betreffen alle Indizien 
die Jahre 1944 und 1945. In der Hauptverwaltung der KZs, dem «Wirtschafts- 
und Verwaltungshauptamt», Abteilung D II, wurden zwar schon von 1942 an 
versuchsweise Hollerith-Maschinen eingesetzt, doch zu einer vollständigen 
Erfassung aller Häftlinge mit diesem System ist es nie gekommen. In den 
KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Flossenbürg ist von dort installierten 
Hollerith-Abteilungen nichts bekannt. In Dachau wurde lediglich die 
Lohnbuchhaltung der SS auf diesen Maschinen verwaltet. Das KZ Buchenwald 
begann 1944 versuchsweise die Erfassung von handschriftlichen 
Häftlingskarteien auf Lochkarten, doch gingen diese beim großen Luftangriff 
im August 1944 verloren und wurden nicht mehr ersetzt. In Mauthausen gab es 
zwar eine Hollerith-Abteilung, doch der Leiter der dortigen KZ-Gedenkstätte, 
Andreas Baumgartner, hält Blacks Darstellung für vollkommen überzogen.

Wie aber kommt Edwin Black zu seinen Feststellungen? Vor allem durch den 
unbändigen Drang, in jeder erwähnten Kartei automatisch einen Beweis für 
Lochkarten der Marke Hollerith zu sehen. Tatsächlich nutzte die SS aber 
«Papier und Bleistift», um den Massenmord zu organisieren. Das betont Raul 
Hilberg, der Nestor der Holocaust-Forschung. Auf Vorsatz lässt hingegen die 
handwerklich schlechte Arbeit Blacks schließen: So verweist er in seinen 
Anmerkungen auf zahlreiche Standardwerke, in denen aber regelmäßig gar nichts 
über die behaupteten Zusammenhänge steht - und manchmal glatt das Gegenteil 
seiner Behauptungen. Schließlich mischt Black völlig willkürlich 
unterschiedliche Quellengattungen, ohne sie der wissenschaftlich nötigen, 
kritischen Würdigung zu unterziehen.

Zwangsläufig kommt es zu zahlreichen Fehlern. So behauptet Black, in den fünf 
Tagen nach dem deutschen Überfall auf Holland seien mehr als 100 000 
niederländische Soldaten getötet worden. Seine Quelle: ein Bericht der New 
York Times. Die aktuelle Militärgeschichtsschreibung dagegen geht von 2100 
toten und 2700 schwer verwundeten niederländischen Soldaten aus. So exakt 
geht Edwin Black mit Zahlen um.

Sein Umgang mit Namen ist kaum weniger fragwürdig. So behauptet er, an der 
berüchtigten Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 hätten auch die Statistiker 
Richard Korherr und Roderich Plate teilgenommen. Dafür gibt es nicht nur 
keinen Beweis - es ist nach Ansicht des Leiters der Gedenkstätte Haus der 
Wannsee-Konferenz, Norbert Kampe, «völliger Quatsch». Die Liste derartiger 
Verdrehungen und schlichter Fälschungen ließe sich leicht verlängern.

Festzuhalten bleibt: Die Nazis ermordeten rund sechs Millionen Juden und 
weitere Millionen sowjetische Soldaten, Sinti und Roma sowie Zwangsarbeiter. 
Dem von Hitler vom Zaune gebrochenen Zweiten Weltkrieg fielen weitere 
Millionen Soldaten und Zivilisten zum Opfer. Für dieses Völkerschlachten 
wurde auf allen Seiten die jeweils modernste Technik eingesetzt. Dazu zählten 
auch die Lochkartenmaschinen von IBM auf Seite der Alliierten und von Dehomag 
auf Seiten Nazi-Deutschlands. Die Dehomag-Geräte wurden zur Verwaltung der 
Kriegswirtschaft eingesetzt und gegen Ende des Krieges wahrscheinlich auch, 
um Sklavenarbeit «effizienter» zu organisieren. Mit dem Holocaust hatten 
diese Maschinen allerdings nichts zu tun.

Edwin Blacks Buch ist nahezu durchgängig nicht Information, sondern 
Desinformation. Er führt einen Kreuzzug gegen IBM, und der Grund ist klar: 
Zeitgleich mit dem Erscheinen des Buches wurde in New York eine Sammelklage 
von Holocaust-Überlebenden gegen den Weltkonzern eingereicht. Hier geht es um 
Milliarden Dollar. Edwin Black hat gewissermaßen die Anklageschrift verfasst. 
Sie dürfte freilich vor Gericht nur dann Bestand haben, wenn der öffentliche 
Druck eine sachliche Überprüfung durch Historiker verhindern sollte. Dass ein 
renommierter Verlag wie Propyläen solchen Schund verlegt, ist eine Schande. 
Schon die oberflächliche Prüfung durch einen historisch versierten Lektor 
hätte zahlreiche Fehler aufgedeckt. Noch schlimmer aber ist, dass die seriöse 
Forschung über die Mitverantwortung deutscher und internationaler Unternehmen 
für den Holocaust durch die Kampagne des selbst ernannten 
Enthüllungsjournalisten Edwin Black weit zurückgeworfen wird.

Edwin Black: «IBM und der Holocaust. Die Verstrickung des Weltkonzerns in die 
Verbrechen der Nazis». Aus dem Amerikanischen von Cäcilie Plieninger, Ursel 
Schäfer und Heike Schlatterer. Propyläen Verlag, Berlin/München 2001. 704 S., 
59,90 DM.

Berliner Morgenpost, vom: 18.02.2001
URL: http://www.berliner-morgenpost.de/archiv2001/010218/biz/story394607.html 
 


Kurt-Werner Pörtner
 



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