rainbow, airwar, hiroshima (part 2)
lorentzen-nicklaus
lorentzen-nicklaus at t-online.de
Wed Oct 2 06:16:06 CDT 2002
[.... from sloterdijk, 2002, CONTINUATION]
der bombardierung dresdens in der nacht vom 13. auf den 14. februar 1945 durch
zwei lancaster-bomberflotten der royal air force lag ein pyrotechnisches konzept
zugrunde, nach dem der stadtkern in einem viertelkreisförmigem sektor mit einem
dichten ring aus spreng- und brandbomben ungeben und dicht bestreut wurde, der
den gesamten innenbereich in einen kohärenten hochofen-effekt einbeziehen
sollte; es war den angreifern darum zu tun, durch die hohe verdichtung der
stabbrandbomben ein brennendes zentral-vakuum zu erzeugen, das einen
orkanartigen sog, den sogenannten feuersturm, auslöst. ein analoges konzept zur
systematischen entfachung des feuersturms hatte der britische luftmarschall
arthur harris bereits bei der bombardierung hamburgs am 27. juli 1943 mit erfolg
erprobt. derselbe effekt wurde 1945 in dresden von der ersten bombardierung
zwischen 22h13 und 22h28 vorbereitet und durch die zweite angriffswelle zwischen
1h30 und 1h55 sichergestellt, die den feuersturm bis zum gewünschten
ausmaß vorantrieb und ihn auf weitere stadtgebiete, insbesondere die von
flüchtenden überfüllte gegend um den hauptbahnhof, ausdehnte. eine dritte
angriffswelle durch amerikanische luftverbände traf eine bereits verwüstete
stadt. es kamen bei den beiden ersten angriffen etwa 650 000 einzelbomben zum
abwurf, hiervon 1500 tonnen minen- und sprengbomben gegenüber circa 1200 tonnen
brandbomben, die zur auslösung des flächenbrands in kleinteiliger streuung
regenartig abgeworfen wurden. den angreifern waren die umstände bekannt, wonach
eine planmäßige verwirklichung ihres konzepts in der von flüchtlingen aus dem
osten überlasteten stadt zu einer hohen zahl von opfern führen musste. der
erfolg des voehabens manifestierte sich unter anderem darin, dass zahlreiche, im
inneren des feuerkessels eingeschlossene dehydriert und mumifiziert aufgefunden
wurden, ohne direkt mit flammen in berührung gekommen zu sein. mehr als
einhundert intakte schutzkeller verwandelten sich aufgrund von kamineffekten in
heißluftherde, deren insassen lebendig durchgegrillt wurden. es gibt in der
geschichte des angewandten schreckens vor dem 6. august 1945 kein anderes
beispiel dafür, wie in einer 'lebenswelt' von der ausdehnung nahezu eines
gesamten stadtgebiets verhältnisse hergestellt werden konnten, denen die
merkmale einer auf hoher stufe betriebenen brennkammer zukamen; in ihr traten
temperaturen von über eintausend grad celcius auf, wobei die rauchgase das ihre
zur steigerung der tödlichen wirkung beitrugen. dass in dieser sonderatmosphäre
während einer einzigen nacht der niedrigsten schätzung zufolge 35 000 menschen
verbrannt, karbonisiert, durchtrocknet und erstickt werden konnten, bedeutete
eine umwälzende innovation auf dem gebiet der massenschnelltötungen. obschon als
kriegsbedingte singularität wahrnehmbar, setze die brandnacht von dresden den
neuen archetypus des extensiven thermoterrorismus in die welt. hier geschah ein
zu ende gedachter großanschlag auf die thermischen grenzbedingungen des lebens.
er vollzog die expliziteste negation der implizitesten aller erwartungen:
dass das in-der-welt-sein von menschen unter keinen umständen ein im-feuer-sein
meinen kann.
es gehört zu den nicht mehr überraschenden überraschungen des 20. jahrhunderts,
dass auch dieses maximum sich als überbietbar erwies. die explikation der
atmosphäre durch den terror machte bei der umwandlung von lebenswelten in gas-
und feuerkammern nicht halt. um über die schrecken von churchill's und harris'
hochofen hinauszugelangen, war nicht weniger vonnöten als eine
weltbildrevolution oder genauer - seit wir die falschheit der rede von umwälzung
und revolution verstehen - der durchbruch zu einer noch breiteren ausfaltung
dessen, was die welt in ihrer physikalischen und biosphärischen latenz
zusammenhält. eine rekapitulation der gemeinsamen geschichte der kernphysik und
der kernwaffe erübrigt sich an dieser stelle. für unseren zusammenhang ist von
bedeutung, dass die kernphysikalische explikation der radioaktiven materie und
ihre populäre demonstration durch atompilze über ariden versuchsgeländen und
bewohnten städten gleichzeitig eine neue tiefenstufe in der explikation des
menschlich relevanten atmosphärischen aufschloss. damit zog sie eine
'revolutionäre' neu-orientierung des 'umwelt'-bewusstseins in richtung auf das
unsichtbare wellen- und strahlenmillieu nach sich. angesichts dessen ist mit dem
rekurs auf die klassische lichtung, in der wir 'leben, weben und sind', ob man
sie theologisch oder phänomenologisch lese, nichts mehr zu erreichen. der
(nach)phänomenologische kommentar zu den atom-blitzen über der wüste von nevada
und den beiden japanischen städten lautet: MAKING RADIOACTIVITY EXPLICIT.
nicht nur vollzog sich mit den atombombenabwürfen über hiroshima und nagasaki
eine quantitative überbietung der geschehnisse von dresden - die
simultanauslöschung von (nach den vorsichtigsten schätzungen) über
einhunderttausend und noch einmal vierzigtausend menschenleben kann als
bisherige kulmination des atmoterroristischen explikationsgeschehens gelten; die
nukleare explosionen vom 6. und 9. august 1945 trieben zugleich die qualitative
eskalation voran, weil sie über die thermoterroristische dimension hinaus den
übergang in die strahlenterroristische eröffneten. die strahlenopfer von
hiroshima und nagasaki, die sich zu den hitzeopfern der ersten sekunden und
minuten nach kurzer zeit gesellten, in ungezählten fällen auch mit einer
verzögerung von jahren und jahrzehnten, machen die erkenntnis ausdrücklich, dass
die menschliche existenz kontinuierlich in einer komplexen wellen- und
strahlenatmosphäre angesiedelt ist, von deren realität uns allenfalls gewisse
indirekte wirkungen, jedoch keine immediatwahrnehmungen zeugnis geben können.
die direktabgabe einer akut oder längerfristig für menschen tödlichen dosis von
radioaktivität, die 'hinter' dem thermischen und kinetischen primäreffekt der
bomben freigesetzt wurde, riss im wissen der verletzten und zeugen eine radikal
neue latenz-dimension auf. altverborgenes, unbekanntes, unbewusstes,
niegewusstes, niebemerktes, nichtbemerkbares wurde mit einem mal in die
manifestationsebene gezwungen; es wurde mittelbar in form von hautablösungen und
geschwüren auffällig, als ob ein unsichtbares feuer sichtbare brandwunden
bewirkte. in den gesichtern der überlebenden spiegelte sich eine neue gestalt
der apathie wider: die 'hiroshimamasken' starrten in die reste einer welt, die
den menschen im lichtsturm entzogen worden war, um ihnen als verstrahlte wüste
zurückgegeben zu werden. diese gesichter kommentieren die seinszumutung an ihrem
dunklen grenzwert. nach dem schwarzen regen über japan manifestierte sich das
namenlose übel über jahrzehnte hin in krebswucherungen aller art und tiefsten
seelischen verstimmungen. bis 1952 war in japan jeder öffentliche hinweis auf
die beiden katastrophen durch die zensur der usa verboten.
an diesen vorgängen ist ein dimensionales wachstum des terrorhandelns
abzulesen: das nuklearattentat auf die lebenswelt des feindes schließt von jetzt
an auch terroristische ausnutzung der latenz als solcher ein. die
nichtwahrnehmbarkeit der strahlenwaffe wird zu einem wesentlichen teil der
waffenwirkung selbst. nach seiner verstrahlung erst begreift der feind, dass er
nicht nur in einer luft-, sondern auch in einer nichtwahrnehmbaren wellen- und
strahlenatmosphäre existierte. der nukleare extremismus ist wie der chemische
ein explikationismus.
mit dem nuklearen explikationsschritt wird die phänomenale katastrophe
endgültig auch zu einer katastrophe des phänomenalen. der vorstoß der physiker
und der von ihnen informierten militärs auf das radioaktive niveau der
umweltbeeinflussung hat klargemacht, dass etwas in der luft liegen kann, wovon
die heiter atmenden, naiv kontextsensiblen weltkinder der vornuklearen ära, die
altmenschlichen 'zöglinge der luft', schlechterdings nichts zu bemerken
vermochten. von diesem einschnitt an ist die nötigung, nichtwahrnehmbares
wahrzunehmen, wie ein als drohung verfasstes neues gesetz über sie verhängt."
°kfl°
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