rainbow, airwar, hiroshima (part 1)

lorentzen-nicklaus lorentzen-nicklaus at t-online.de
Wed Oct 2 06:16:03 CDT 2002




° .... from peter sloterdijk: LUFTBEBEN. an den quellen des terrors. ffm 2002: 
                                                           suhrkamp, pp. 51-59.


"ohne die reichweitenexplosion durch luftwaffen bliebe die globalisierung des 
krieges mittels teledestruktiver systeme unerklärlich. ihres einsatzes wegen 
sind große teile des spezifischen exterminismus im 20.jahrhundert einer 
schwarzen meteorologie zuzurechnen. in dieser theorie menschengemachter 
sonderniederschläge sprechen wir von der erschließung des luftraums durch 
flugmaschinen und deren indienstnahme für atmoterroristische und 
para-artilleristische aufgaben.
 
 während der gasterrorismus in seinen zwischen 1915 und 1945 manifesten formen 
durchweg am boden operierte (mit ausmahme des rifkriegs in spanisch-marokko 
1922-1927, der erstmals als aerochemischer krieg geführt wurde), sind 
thermo-terroristische und strahlenterroristische angriffe auf feindlebenswelten 
aus technischen und taktischen gründen so gut wie immer auf 
air-force-operationen angewiesen --- wofür (nach den schockierenden überfällen 
deutscher flugzeuge auf guernica am 26. april 1937 und coventry in der nacht vom 
14. zum 15. november 1940) vor allem die vernichtung dresdens am 13. und 14. 
februar 1945 durch britische bomberflotten und die auslöschung von hiroshima und 
nagasaki am 6. und 9. august 1945 durch den abwurf von zwei einzelnen 
nuklearbomben aus us-amerikanischen kampfflugzeugen paradigmatisch bleiben. 
gefechte zwischen gleichwertigen fliegerverbänden waren historisch eher von 
marginaler bedeutung --- sosehr sie auch das imaginäre mit 
luftritterromantischen turnierszenen beschäftigten. dagegen hat sich de facto im 
bereich des 'luftkampfes' die praxis der einseitigen, unerwiderbaren luftschläge 
durchgesetzt, bei denen entweder einzelne maschinen präzisionsangriffe gegen 
definierte ziele führen oder größere luftflotten zu flächenbombardierungen 
eingesetzt werden, letzteres in analogie zu dem unschärfelogischem prinzip der 
gasartillerie: nahe genug ist operativ so gut wie exakt. die metapher vom 
bombenteppich, die seit den vierziger jahren des gerade vergangenen jahrhunderts 
aktiv ist, beschreibt sehr präzise das anschauungsbild des zudeckens größerer 
segmente von bebauten und bevölkerten landschaften mit tödlicher auslegeware. 
dass punktbombardierungen in hoher zahl ihrerseits flächeneffekte ergeben 
können, haben unter anderem die luftschläge der nato gegen serbien in der 
kosovo-affaire zwischen dem 24. märz und dem 10. juni 1999 gezeigt. sosehr die 
luftwaffen für eine militärromantische interpretation ihrer funktionen 
empfänglich sind und sich diskret als neo-aristokratische waffengattung 
darstellen - gewissermaßen als fortsetzung der königsgattung artillerie in einem 
freieren medium -, sind sie ihrer praktischen tendenz nach das bevorzugte 
vollzugsorgan des atmoterrorismus. dabei bestätigt sich, dass die staatlichkeit 
der waffen, weit davon entfernt, das gegengift gegen terroristische praktiken zu 
sein, deren systematisierung bewirkt. dass seit dem zweiten weltkrieg die 
luftstreitkräfte zu den führenden waffensystemen aufgestiegen sind, zumal in den 
interventionskriegen der usa nach 1945, spricht lediglich für die normalisierung 
des staatsterroristischen habitus und die ökologisierung der kriegsführung 
(fußnote: ein indiz von vielen hierfür ist der einsatz von manifesten 
terrorkampfmitteln wie napalm durch die us air force in vietnam sowie der abwurf 
der berüchtigten lungenbrecherbombe blue 82 commando vault alias daisy cutter, 
einer 5,7-tonnen-ammoniumnitratbombe, auf irakische infanterie und afghanische 
kämpfer). aus diesem blickwinkel waren die demonstrationen serbischer 
zivilisten, die sich während der nato-luftangriffe im frühjahr 1999, als 
zielscheiben dekoriert, auf der branko-brücke über die save aufstellten, ein 
adäquater kommentar zur luftkriegsrealität des 20 jahrhunderts. 

 in der kriegsführung der staatlichen luftwaffen kommt es, so haben nicht nur 
die erfahrungen des zweiten weltkriegs in europa wie im fernen osten bewiesen, 
zur allgemeinen anwendung des attentäterischen habitus, da luftangriffe ihrem 
modus operandi gemäß immer schon überfallcharakter besitzen. sie setzen zudem, 
auch wo sie als präzisionsschläge gegen 'anlagen' geführt werden, stets die 
verletzung der feind-lebenswelten und eo ipso das risiko der tötung von 
zivilisten voraus; bei flächenangriffen wird dies zur primären intention. der 
generalisierte 'bombenterror' von 1943 bis 1945 über dem gebiet des deutschen 
reiches zielte bekanntlich nicht allein auf militärische strukturen, sondern 
mehr noch auf die mentale infrastruktur des landes; deswegen musste er lange 
zeit wegen seiner vorgeblich moralbrechenden wirkung auch gegen interne, nicht 
nur pazifistische kritik bei den alliierten verteidigt werden.





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