Unfilmable novels

Marscalla at aol.com Marscalla at aol.com
Thu Jan 18 05:15:57 CST 2007


A new critic of AtD in germany - the later the better it seems - and  an idea 
for an AtD-movie, at the end of the text. director jim jarmusch,  music tom 
waits, that would be utopian, so the author. (sounds more like a piece  of 
nostalgia) But: why only 1 director, 1 musician? I think, we need a bunch of  
them, let's say, scorsese to start with the first 50 pages, then michael mann,  
and yes, greenaway would be a good idea, too. - that would be more  appropriate
mario s.
 
 
 
URL:  http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_
medien/feuilleton/?em_cnt=1053219


Thomas Pynchon

Drogen ohne Sucht

VON HELMUT MÜLLER-SIEVERS


Die Kinder des Anarchisten Traverse Webb machen sich einzeln aus  den Bergen 
Colorados auf, den Auftragsmord an ihrem Vater zu rächen. Die Suche  führt sie 
zwischen 1893 und den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg nach New York,  Wien, 
Göttingen, Venedig, London, in den Balkan, tief in die Steppen  Zentralasiens. 
Dabei begegnen ihnen und dem Leser Ballonfahrer, mathematische  Doppelgänger, 
englische Mystiker, Untersandboote, sprechende Berge und lesende  Hunde, sie 
müssen sich mit der Mathematik der Relativitätstheorie, den Arkana  des Tarot, 
mit Radio- und Filmarchäologie und einem immensen Arsenal von  Feuerwaffen 
herumschlagen. Am Ende wird alles (einigermaßen) gut .





 
 
Der Neue von Pynchon



Als Thomas Pynchons Roman "Against the Day" in der  Penguin Press erschien, 
war die Aufregung nicht nur in den USA groß (FR  23.11.06). 

Das Buch ist allerdings so dick (1085 S., 35 Dollar), dass  die Rezensenten 
mit dem Lesen kaum nachkamen. 

Helmut Müller Sievers,  Germanistik-Professor an der Northwestern University 
bei Chicago, hat es  geschafft - und ist begeistert.




Dass man die Handlung von Thomas Pynchons neuem Roman Against  the Day nur so 
hilflos oder aber viel zu ausführlich wiedergeben kann, zeugt  nicht nur von 
der Länge (1085 Seiten auf übrigens wunderschönem Papier) des  Werks, sondern 
von der vollständigen Verwobenheit der Handlung mit ihrer  Darstellung. Dies 
ist ein immer stärker hervortretender Zug seines Schreibens;  schon Mason & 
Dixon war ohne die Neuschaffung einer merkwürdig  archaisierenden Sprache gar 
nicht zu verstehen. Wegen dieser Tendenz zur  Poetisierung haben sich Pynchons 
Stammleser langsam von ihm abgewandt; für sie  waren die frühen Romane 
Schatztruhen arkanen und politisch brisanten technischen  Wissens gewesen, das sich von 
seiner literarischen Darstellung ablösen und  überprüfen ließ.

Neue Leser, die sich an dem Choral der hundert Stimmen  erfreuen, die Pynchon 
in wilder Polyphonie verflicht, gibt es wohl nicht genug.  Der Roman ist denn 
auch zwiespältig aufgenommen worden, die Rezensenten maulten  vornehmlich 
über seine Länge, über die fast fünfzig Hauptfiguren und das  überscharfe 
geographische Detail. Das ist, um in Pynchons Bildern zu bleiben,  als klage man über 
zu viel Chateau Lafite und zu kluge und schöne  Frauen.

Bei Pynchon, um ihn damit gleich von Kollegen wie Roth oder  Updike 
abzusetzen, gibt es keinen Kater, keinen Überdruss, keine Altersimpotenz.  Es wird 
unablässig geraucht und getrunken und inhaliert, unterbrochen nur von,  nun, 
ausgefallen choreographiertem Sex. Kein Lamento über verlöschende Lust in  der 
Seniorenkolonie, nur die Wut über die Verworfenheit der Kapitalisten. Drogen  sind 
Gaben der Erde, damit das Leben ein wenig Glanz bekommt, Sex eine  
überbordende Form der Kommunikation, manchmal allerdings auch ganz schön albern.  Doch 
gibt es ebenso (auch hierin Mason & Dixon weiterführend) Tränen,  Liebe zu 
Kindern, Eltern und Tieren, es gibt Geburt und Tod und, wunderbar  entfaltet, die 
Freundschaft.

Natürlich ein utopischer Roman,aber das Lesevergnügen ist  real

Pynchon gestaltet das Verhältnis zwischen Frauen und Männern nach  dem 
Vorbild der 40er Jahre, als Lauren Bacall Bogart fragte, ob er wisse, wie  man 
pfeift. Es ist die Tradition des cool, in der Männer von einer Aura der  Einsamkeit 
umgeben sind, die die Frauen als Idiotie erkennen und spöttisch  zunichte 
machen. Anders als Bogart konjugiert Pynchon diese Beziehung durch alle  
möglichen homo-, hetero- und polysexuellen Konstellationen.

Daraus  entsteht die Freundschaft. Ausgedrückt wird sie in hinreißenden 
Dialogen, deren  Lakonismus und Humor das gesprochene Amerikanisch endlich einmal 
in seinem  ganzen Reichtum zeigt. Wie um das zu unterstreichen, lässt Pynchon 
einen  Pistolenhelden aus Colorado gegen einen décadent aus Cambridge im Kampf  
um eine bezaubernde Mathematikerin antreten. Auch sie werden Freunde, doch am 
 Ende erlegt der Engländer sich ewiges Schweigen auf.

Überhaupt die  Dialoge: Pynchon hat eines der haarigsten Probleme der 
Romantechnik gelöst, wie  nämlich der Stillstand der Handlung im Dialog und umgekehrt 
der Stillstand der  Reflexion in der Handlung aufgehoben werden können. Das 
"sagte er" gibt es bei  ihm nicht mehr, oft wird man direkt aus dem Dialog in 
den Ort oder die Zeit,  über die gerade gesprochen wird, transportiert, oft 
beginnen Dialoge mitten in  den Beschreibungen, und Leute unterbrechen sich 
dauernd. Man weiß zwar so nicht  immer genau, wo man gerade ist oder wer gerade 
spricht, aber irgendwie stimmt  dann schon alles. Auch diese Technik ist dem Film 
abgeschaut und nach einer  Weile wird sie ganz selbstverständlich.

So riesig das Buch auch ist und  so atemberaubend die Darstellung des Wissens 
und der Geschichte, die Kerneinheit  von Pynchons Dichtung ist doch der 
Absatz. Aus Mason&Dixon hat er die  hochfrequente, im Deutschen am ehesten an 
Kleist gemahnende Kommasetzung  übernommen, ebenso das Vertrauen, dass 
verschachtelte Sätze den Leser nicht  abhängen. Wörter kommen vor, an die man schon nicht 
mehr geglaubt hat. Der  Absatz, selten länger als eine Dreiviertelseite, 
entwirft einen Gedanken oder  eine Beschreibung in einem hohen Bogen, der in 
lyrischen Rhythmen wieder  zurückkommt, am Ende oft das Gesagte noch einmal in Frage 
stellend, oder  erhöhend.

Auf jeder Seite dieses Romans sprudeln Vergleiche,  Wortkaskaden, Einsichten, 
für die andere Schriftsteller kapitelweise schuften  müssen. Selbst wenn es 
in diesem Roman um nichts ginge, dieser in jeder Hinsicht  unfassbare Reichtum 
schon würde ihn - man möchte mit Nietzsche sagen: auf  ewig-rechtfertigen. Es 
geht aber um etwas, nämlich um die Archäologie des ersten  Weltkriegs.



Wir sind vom Schrecken des Holocausts so verstrahlt, dass wir  nicht mehr 
sehen können, welchen Bruch im Projekt Zivilisation diese Katastrophe  
dargestellt hat. Krieg war bis dahin ein extremer Ausdruck von Rationalität und  
Wissenschaft gewesen, Fortsetzung der Politik eben. Nun aber begann ein Krieg  
aufgrund einer Serie von diplomatischen Pannen und kleinlichsten  
Partikularinteressen, und er wurde geführt von inkompetenten und zynischen  Befehlshabern, die 
eine ganze Generation Männer zu opfern bereit waren, oft  wegen weniger Meter 
Bodengewinn.

Pynchon versucht, die Faktoren zu  isolieren, die zu diesem Kollaps 
beigetragen haben. Dazu gehören, wie schon in  Gravity's Rainbow, die Wissenschaften, 
die leicht korrumpierbar sind,  aber gleichzeitig die Möglichkeit eines 
Neuanfangs bergen. In Against the Day ist die Mathematik zentral, da sie im späten 
19. Jahrhundert einen Zugang zu  Regionen der Mystik, genauer: zu neuen 
Erfahrungen von Raum und Zeit aufdeckte,  ihn aber gleich wieder verschloss. Die 
Relativitätstheorie ist für Pynchon ein  fauler Kompromiss, der gegen die 
Möglichkeit des Äthers und die Bildbarkeit der  Zeit geschlossen wurde. Das ist 
manchmal emphatisch, meistens aber komisch bis  albern vorgetragen; hie und da ein 
Blick in Wikipedia hilft zur Orientierung,  ist aber nicht unbedingt notwendig 
zum Lesegenuss.

Der grenzenlosen  Inkompetenz europäischer Politik steht die Habgier 
amerikanischer Plutokraten  gegenüber. Wie in seinen vorigen Romanen geht Pynchon auch 
hier naiv davon aus,  dass der Böse weiß, dass er böse ist, wo doch noch 
jeder Stahlbaron tief  überzeugt war, ein Wohltäter der Menschheit zu sein. Auf 
der anderen Seite gehen  die dynamitschmeißenden Anarchisten vielleicht ein 
bisschen zu fröhlich zu  Werke. Doch die Rekonstruktion des Anarcho-Syndikalismus 
und seiner sozialen  Utopien ist gerade angesichts des blutigen Manichäismus' 
unserer Tage  erfrischend und beeindruckend, besonders in der hinreißenden 
Beschreibung  Chicagos am Ende des 19. Jahrhunderts.

Sollte man für diesen so  vielgestaltigen Roman ein übergreifendes Thema 
angeben, so wäre es das aller  großen amerikanischen Romane: die Suche nach 
innerweltlicher Erlösung. Kann man  ohne auf Gott, die Verzweiflung oder die Askese 
zu verfallen, ein Leben in aller  Fülle führen und zufrieden sterben? Pynchon 
bejaht diese Frage nicht nur in  seinen Figuren und in seinem ungebrochenen 
Glauben an die Heilkraft von  Sex&Drugs&Rock'n'Roll, sondern kräftiger noch in 
der Gabe seines Romans  selbst. Drogengenuss ohne Kater, Sex ohne schlechtes 
Gewissen, Henry James (das  Spätwerk) lesende Hunde: natürlich ist dies ein 
utopischer Roman. Doch die  Stunden seiner Lektüre sind real und real beglückend. 
Leider aber auch  unwiederbringlich. Die wirkliche Utopie wäre die Verfilmung 
von Against the  Day. Regie: Jim Jarmusch. Musik: Tom Waits.





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Dokument  erstellt am 17.01.2007 um 16:48:02 Uhr
Letzte Änderung am 17.01.2007 um  17:07:10 Uhr
Erscheinungsdatum 18.01.2007 



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