Southgate (war: RE: Enzian)
Kai Frederik Lorentzen
lorentzen at hotmail.de
Sat Jun 26 08:29:27 CDT 2010
A classical performative self-contradiction.
Dein Deutsch ist besser als das von Pynchon!
Since this fills my heart with joy, I'll type something down for you. It's
from Karen Duve's novel "Dies ist kein Liebeslied" [2000] and the scene
takes place in London, 1996. Half of the quoted passages are in English
anyway, and practically all the rest is places & names, so people who -
unlike Laura - do not speak German will have no problems with understanding.
Especially not Englishmen ... Now come on, Frau Duve, we silently await your
report:
"It's coming home,
it's coming home,
its coming,
football's coming home -- außer zwei jungen Männern, die Schals und alberne weiche
Hüte in den englischen Nationalfarben tragen, deutet noch nichts auf das bevorstehende
Spiel. Die Sonne scheint, ich schlendere, die Hände in den Taschen meiner hüftlangen
Jacke, über den Trafalgar Square. (...) Ich ziehe das zweite Tortenstück zu mir heran
und falte die Zeitung auf: 'WATCH OUT YOU GERMAN SAUSAGES. TONIGHT EL TEL'S BOYS ARE
GOING TO SHOW YOU WHAT IT MEANS TO GET A GOOD KICKING IN THE STRUDELS.'/Die rechte
Hälfte der 'Daily Star'-Titelseite ist für eine halbnackte Blondine mit stark
geschminkten Augen und einem Löwen-Wappen auf der Unterhose reserviert. Die Unterhose
leuchtet so weiß wie das Kleid, das die junge Königin zur Hinrichtung trug. HANS OFF,
FRITZ! steht auf der Schulter der Blondine. (...) Als ich mich gegen sieben auf den Rückweg
mache, sind die Straßen voller Männer und Frauen mit Flaggenzylindern, englischen Fahnen
und Wimpeln. Alle sind so aufgekratzt, als hätten sie bereits gewonnen. (...) Ich kann
genausogut hinter all diesen hoffnungsvollen Menschen her in einen Pub gehen und mir
ansehen, wie die deutsche Mannschaft ohne Jürgen Klinsmann und all die anderen verletzten
Spieler antritt und von Pearce, Platt und Gascoigne den World Cup 1990 und den Zweiten
Weltkrieg heimgezahlt bekommt. DON'T MENTION THE WAR -- WHY NOT FRITZ, YOU STARTED IT./
Der nächste Pub ist schon übervoll, wie vermutlich alle Pubs, aber niemand, der dabeisein
und auf seine Weise zum Sieg beitragen will, wird abgewiesen. Eine große, schicksalshafte
Begegnung steht bevor, die die Nation des Verlierers demoralisieren soll. (...) Ich sauge
gerade an meinem Bier, als der Jubel der Pubbesucher gegen mich brandet, erst zögerlich
und irgenwie fragend, und dann, zwei Sekunden versetzt, noch einmal und richtig. Keine
drei Minuten Spielzeit, und England führt bereits. Noch nie habe ich die Gefühle so
vieler Menschen gleichzeitig gespürt: Alles wird gut werden dank Shearer. Jetzt kann
es doch nur noch gut werden, nicht wahr? Erst drei Minuten, und wir führen bereits. O
Shearer, Shearer, Shearer! Alle ihre Gefühle richteten sich auf den Punkt unter dem Fernseher,
dorthin, wo ich stehe, und ihr Schreck, als keine Viertelstunde später Kuntz den Ausgleich
erziehlt, trifft mich wie ein Fausthieb in den Magen. Kuntz, Kuntz, Kuntz, denke ich so
enthusiastisch wie möglich, um mich gegen das Anrollen der Enttäuschung zu wappnen, balle aber
nur kurz die Faust, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Im Fernsehen führen die deutschen
Fans einen rituellen Tanz auf, sie wiegen sich bärenartig von einem Fuß auf den anderen und
heben dabei abwechselnd die rechte oder die linke Faust gegen den Himmel, ohne die Arme zu
strecken, ziehen unsichtbare Energiefäden zu sich heran, verweben sie zu einem Glücksteppich.
(...) Als das Elfmeterschießen beginnt, bin ich bereits schweißgebadet, mein Nacken ist völlig
verspannt. England schießt und trifft, Deutschland schießt und trifft, England schießt und
trifft, Deutschland schießt und trifft. Schuss und Jubel, Schuss und Enttäuschung, Schuss und Jubel ...
Immer wieder landet der Ball in der rechten oberen Ecke. Auf dem Fernsehrasen sitzt der ausgepumpte
Rest der Mannschaften und kann nichts mehr tun. Über Sieg oder Niederlage wird jetzt ein einzelner
Mann entscheiden, der, der als erster nicht trifft, und dieser Mann wird an allem schuld sein.
Gascoigne trifft und scmeißt sich in Positur wie ein Bodenturner, der nach der dreifachen Schraube
landet. Perfekt gestanden. Dann brüllt und flucht er in Richtung des Publikums, irgend etwas muss
man ihm einmal vorgeworfen haben, und was es auch war, jetzt muss man es zurücknehmen. Ziege. Ziege
trifft, und niemand kann ihm ansehen, was in ihm vorgeht. Sheringham. Auch Sheringham trifft
rechts. Wieder rechts. Sheringham hebelt die Faust von unten in die Luft. Kuntz. Kuntz hat es am
leichtesten, denn er hat bereits ein Tor geschossen und dazu ein zweites, das aberkannt wurde. Ohne
ihn würde es das Elfmeterschießen gar nicht geben. Ohne ihn hätte die deutsche Mannschaft bereits
verloren. Ihm könnte man nicht wirklich einen Vorwurf machen. Kuntz schießt und trifft. Rechts, alle
Bälle scheinen nach rechts zu gehen. Kuntz ballt ohne allzuviel Emotionen die Fäuste auf Brusthöhe,
ein Mann, der vorher wusste, dass er trifft. Southgate. Southgate sieht auf den ersten Blick wie
Sheringham aus, nein, doch nicht. Er ist jünger. Und hübscher. Southgate hat Angst. Die Angst des
Tormanns beim Elfmeter [an allusion to a famous novel title.kfl] ist nichts gegen die Angst desjenigen,
der den Elfmeter schießen muss. Alle hatten sie Angst, aber alle beherrschten den Trick, sie mit etwas
anderem zu verwechseln, mit Wut oder Pflichtgefühl oder Konzentration. Southgates Angst fühlt sich einfach
nur wie Angst an, und er fängt an zu denken. Er denkt, weil alle bisherigen Tore nach rechts gingen, wird
der Torwart sich diesmal nach rechts schmeißen. Southgate schießt anders, als er es eigentlich vorgehabt
hat. Southgate schießt links. Links ist ein Fehler [Yep, 'n echter Kieler Jung fängt dir den weg!kfl].
In ohnmächtiger Wut schleudert Gascoigne seine Wasserflasche auf den Rasen. Englands Hoffnung vertan,
mit einem einzigen Schuss. Die Verzweiflung im Pub presst mich gegen den Tresen. Southgate fühlt
nichts. Noch fühlt Southgate nichts. Erst jetzt sickert langsam die Verzweiflung in ihn ein,
mechanisch murmelt er etwas, das vermutlich Scheiße heißt, und er begreift, dass er der
unglücklichste Mensch auf der ganzen Welt ist und selbst seine Mutter sich von ihm
abkehren wird. Sein Unterkiefer schiebt sich etwas vor, aber er weint nicht. Ich
würde gern wissen, wie er das hinkriegt. Als nächstes schießt Andy Möller. Wenn er trifft, wird dies sein Sieg,
seine Europameisterschaft sein. Das Entsetzen im Pub ist grenzenlos. Alle versuchen zu hoffen, aber niemand
zweifelt daran, dass Möller treffen wird, und Möller trifft. Oh, not again! Sie schlagen die Hände vors
Gesicht. Andy Möller läuft an den Spielfeldrand, baut sich wie ein kleiner dicker Gockel vor den Zuschauern
auf, stemmt die Hände in die Hüften und ruckt triumphierend mit dem Kopf nach links und rechts. Aber die
Menschen um mich herum sind viel zu entsetzt, um sich über ihn aufzuregen. Der bereitgestellte Sekt hat
aufgehört zu perlen. Das war's. Noch ein 'Oh, so near!'/ Die Hälfte der Gäste verlässt gleich nach
Spielende den Pub, der ..."
Karen Duve: Dies ist kein Liebeslied. 3. Auflage. München 2004: Goldmann Manhattan,
pp. 264, 267-273.
http://www.youtube.com/watch?v=dJwPDpYfRP8&feature=related
But after all, it's just a game!
Frieden/Peace
Kai
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> Date: Fri, 25 Jun 2010 15:43:50 -0400
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> To: pynchon-l at waste.org
> Subject: Re: Enzian
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> Ich spreche nicht Deutsch.
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