Southgate (war: RE: Enzian)

Clément Lévy clemlevy at gmail.com
Sat Jun 26 12:18:47 CDT 2010


Danke, Kai!

truly wonderful! a great text! i wonder if other writers told such  
stories about great games. There is something by Jean-Philippe  
Toussaint about Zidane's headbutt (La Mélancolie de Zidane), and a  
novel about the Heysel, by Laurent Mauvignier (Dans la foule), in  
French.

Clément

Le 26 juin 10 à 15:29, Kai Frederik Lorentzen a écrit :

>
> A classical performative self-contradiction.
>
> Dein Deutsch ist besser als das von Pynchon!
>
> Since this fills my heart with joy, I'll type something down for  
> you. It's
> from Karen Duve's novel "Dies ist kein Liebeslied" [2000] and the  
> scene
> takes place in London, 1996. Half of the quoted passages are in  
> English
> anyway, and practically all the rest is places & names, so people  
> who -
> unlike Laura - do not speak German will have no problems with  
> understanding.
> Especially not Englishmen ... Now come on, Frau Duve, we silently  
> await your
> report:
>
> "It's coming home,
> it's coming home,
> its coming,
> football's coming home -- außer zwei jungen Männern, die Schals und  
> alberne weiche
> Hüte in den englischen Nationalfarben tragen, deutet noch nichts  
> auf das bevorstehende
> Spiel. Die Sonne scheint, ich schlendere, die Hände in den Taschen  
> meiner hüftlangen
> Jacke, über den Trafalgar Square. (...) Ich ziehe das zweite  
> Tortenstück zu mir heran
> und falte die Zeitung auf: 'WATCH OUT YOU GERMAN SAUSAGES. TONIGHT  
> EL TEL'S BOYS ARE
> GOING TO SHOW YOU WHAT IT MEANS TO GET A GOOD KICKING IN THE  
> STRUDELS.'/Die rechte
> Hälfte der 'Daily Star'-Titelseite ist für eine halbnackte Blondine  
> mit stark
> geschminkten Augen und einem Löwen-Wappen auf der Unterhose  
> reserviert. Die Unterhose
> leuchtet so weiß wie das Kleid, das die junge Königin zur  
> Hinrichtung trug. HANS OFF,
> FRITZ! steht auf der Schulter der Blondine. (...) Als ich mich  
> gegen sieben auf den Rückweg
> mache, sind die Straßen voller Männer und Frauen mit  
> Flaggenzylindern, englischen Fahnen
> und Wimpeln. Alle sind so aufgekratzt, als hätten sie bereits  
> gewonnen. (...) Ich kann
> genausogut hinter all diesen hoffnungsvollen Menschen her in einen  
> Pub gehen und mir
> ansehen, wie die deutsche Mannschaft ohne Jürgen Klinsmann und all  
> die anderen verletzten
> Spieler antritt und von Pearce, Platt und Gascoigne den World Cup  
> 1990 und den Zweiten
> Weltkrieg heimgezahlt bekommt. DON'T MENTION THE WAR -- WHY NOT  
> FRITZ, YOU STARTED IT./
> Der nächste Pub ist schon übervoll, wie vermutlich alle Pubs, aber  
> niemand, der dabeisein
> und auf seine Weise zum Sieg beitragen will, wird abgewiesen. Eine  
> große, schicksalshafte
> Begegnung steht bevor, die die Nation des Verlierers demoralisieren  
> soll. (...) Ich sauge
> gerade an meinem Bier, als der Jubel der Pubbesucher gegen mich  
> brandet, erst zögerlich
> und irgenwie fragend, und dann, zwei Sekunden versetzt, noch einmal  
> und richtig. Keine
> drei Minuten Spielzeit, und England führt bereits. Noch nie habe  
> ich die Gefühle so
> vieler Menschen gleichzeitig gespürt: Alles wird gut werden dank  
> Shearer. Jetzt kann
> es doch nur noch gut werden, nicht wahr? Erst drei Minuten, und wir  
> führen bereits. O
> Shearer, Shearer, Shearer! Alle ihre Gefühle richteten sich auf den  
> Punkt unter dem Fernseher,
> dorthin, wo ich stehe, und ihr Schreck, als keine Viertelstunde  
> später Kuntz den Ausgleich
> erziehlt, trifft mich wie ein Fausthieb in den Magen. Kuntz, Kuntz,  
> Kuntz, denke ich so
> enthusiastisch wie möglich, um mich gegen das Anrollen der  
> Enttäuschung zu wappnen, balle aber
> nur kurz die Faust, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Im  
> Fernsehen führen die deutschen
> Fans einen rituellen Tanz auf, sie wiegen sich bärenartig von einem  
> Fuß auf den anderen und
> heben dabei abwechselnd die rechte oder die linke Faust gegen den  
> Himmel, ohne die Arme zu
> strecken, ziehen unsichtbare Energiefäden zu sich heran, verweben  
> sie zu einem Glücksteppich.
> (...) Als das Elfmeterschießen beginnt, bin ich bereits  
> schweißgebadet, mein Nacken ist völlig
> verspannt. England schießt und trifft, Deutschland schießt und  
> trifft, England schießt und
> trifft, Deutschland schießt und trifft. Schuss und Jubel, Schuss  
> und Enttäuschung, Schuss und Jubel ...
> Immer wieder landet der Ball in der rechten oberen Ecke. Auf dem  
> Fernsehrasen sitzt der ausgepumpte
> Rest der Mannschaften und kann nichts mehr tun. Über Sieg oder  
> Niederlage wird jetzt ein einzelner
> Mann entscheiden, der, der als erster nicht trifft, und dieser Mann  
> wird an allem schuld sein.
> Gascoigne trifft und scmeißt sich in Positur wie ein Bodenturner,  
> der nach der dreifachen Schraube
> landet. Perfekt gestanden. Dann brüllt und flucht er in Richtung  
> des Publikums, irgend etwas muss
> man ihm einmal vorgeworfen haben, und was es auch war, jetzt muss  
> man es zurücknehmen. Ziege. Ziege
> trifft, und niemand kann ihm ansehen, was in ihm vorgeht.  
> Sheringham. Auch Sheringham trifft
> rechts. Wieder rechts. Sheringham hebelt die Faust von unten in die  
> Luft. Kuntz. Kuntz hat es am
> leichtesten, denn er hat bereits ein Tor geschossen und dazu ein  
> zweites, das aberkannt wurde. Ohne
> ihn würde es das Elfmeterschießen gar nicht geben. Ohne ihn hätte  
> die deutsche Mannschaft bereits
> verloren. Ihm könnte man nicht wirklich einen Vorwurf machen. Kuntz  
> schießt und trifft. Rechts, alle
> Bälle scheinen nach rechts zu gehen. Kuntz ballt ohne allzuviel  
> Emotionen die Fäuste auf Brusthöhe,
> ein Mann, der vorher wusste, dass er trifft. Southgate. Southgate  
> sieht auf den ersten Blick wie
> Sheringham aus, nein, doch nicht. Er ist jünger. Und hübscher.  
> Southgate hat Angst. Die Angst des
> Tormanns beim Elfmeter [an allusion to a famous novel title.kfl]  
> ist nichts gegen die Angst desjenigen,
> der den Elfmeter schießen muss. Alle hatten sie Angst, aber alle  
> beherrschten den Trick, sie mit etwas
> anderem zu verwechseln, mit Wut oder Pflichtgefühl oder  
> Konzentration. Southgates Angst fühlt sich einfach
> nur wie Angst an, und er fängt an zu denken. Er denkt, weil alle  
> bisherigen Tore nach rechts gingen, wird
> der Torwart sich diesmal nach rechts schmeißen. Southgate schießt  
> anders, als er es eigentlich vorgehabt
> hat. Southgate schießt links. Links ist ein Fehler [Yep, 'n echter  
> Kieler Jung fängt dir den weg!kfl].
> In ohnmächtiger Wut schleudert Gascoigne seine Wasserflasche auf  
> den Rasen. Englands Hoffnung vertan,
> mit einem einzigen Schuss. Die Verzweiflung im Pub presst mich  
> gegen den Tresen. Southgate fühlt
> nichts. Noch fühlt Southgate nichts. Erst jetzt sickert langsam die  
> Verzweiflung in ihn ein,
> mechanisch murmelt er etwas, das vermutlich Scheiße heißt, und er  
> begreift, dass er der
> unglücklichste Mensch auf der ganzen Welt ist und selbst seine  
> Mutter sich von ihm
> abkehren wird. Sein Unterkiefer schiebt sich etwas vor, aber er  
> weint nicht. Ich
> würde gern wissen, wie er das hinkriegt. Als nächstes schießt Andy  
> Möller. Wenn er trifft, wird dies sein Sieg,
> seine Europameisterschaft sein. Das Entsetzen im Pub ist  
> grenzenlos. Alle versuchen zu hoffen, aber niemand
> zweifelt daran, dass Möller treffen wird, und Möller trifft. Oh,  
> not again! Sie schlagen die Hände vors
> Gesicht. Andy Möller läuft an den Spielfeldrand, baut sich wie ein  
> kleiner dicker Gockel vor den Zuschauern
> auf, stemmt die Hände in die Hüften und ruckt triumphierend mit dem  
> Kopf nach links und rechts. Aber die
> Menschen um mich herum sind viel zu entsetzt, um sich über ihn  
> aufzuregen. Der bereitgestellte Sekt hat
> aufgehört zu perlen. Das war's. Noch ein 'Oh, so near!'/ Die Hälfte  
> der Gäste verlässt gleich nach
> Spielende den Pub, der ..."
>
>
> Karen Duve: Dies ist kein Liebeslied. 3. Auflage. München 2004:  
> Goldmann Manhattan,
> pp. 264, 267-273.
>
> http://www.youtube.com/watch?v=dJwPDpYfRP8&feature=related
>
>
> But after all, it's just a game!
>
> Frieden/Peace
>
> Kai
>
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>> Date: Fri, 25 Jun 2010 15:43:50 -0400
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