Stingl interview
Kai Frederik Lorentzen
lorentzen at hotmail.de
Sun Oct 14 04:35:27 CDT 2018
+ ... Stellt sich manchmal heraus, dass Sie bestimmte Fragen, die Sie an ein Buch gestellt haben, erst Jahre später wirklich beantworten können?
Ja, in der Tat. Ich habe mal durch Zufall herausgekriegt, was ein bestimmtes seemännisches Kommando bedeutet, das Thomas Pynchon<http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/thema/thomas-pynchon> in „Mason & Dixon“ benutzt hat. Da gibt ein Kapitän kurz vorm Ablegen des Schiffs den Befehl: „Single up all lines!“ In der Übersetzung hatte ich mich damals darüber hinweggemogelt. Viele Jahre später las ich „Das Boot“ von Lothar-Günther Buchheim, und da kommt der Kapitän des U-Boots kurz vorm Ablegen an Bord und sagt: „Alle Leinen los bis auf Spring!“ Und das ist genau das Kommando aus dem Pynchon-Roman.
Ärgert Sie so etwas?
Ja, ich glaube zwar nicht, dass einem Leser von „Mason & Dixon“ aufgefallen ist, dass ich mich über diese Stelle hinweggemogelt habe, aber mich ärgert das schon. Eigentlich strebt man Perfektion an. Mich ärgern zum Beispiel auch Druckfehler, die stehengeblieben sind. Das sollte ja nicht sein, ist jedoch wohl nicht vermeidbar.
Apropos „Mason & Dixon“. Das Buch hat mehr als tausend Seiten und ist in einer anachronistischen Sprache abgefasst. Wie lange sitzen Sie an so einer Übersetzung?
Bei „Mason & Dixon“ weiß ich es ziemlich genau. Daran habe ich dreizehn Monate lang jeden Werktag gearbeitet. Wegen der Sprache des Romans, die nach achtzehntem Jahrhundert klingen soll, habe ich in dieser Zeit nur deutsche Bücher aus dieser Epoche gelesen. Ich wollte diesen Stil ohne viel nachzudenken und ohne große Mühe reproduzieren können. Das hatte schließlich Auswirkungen auf meine Alltagssprache. Mir wurde gesagt, dass ich merkwürdig rede.
Haben Sie ein Beispiel?
Mein Onkel und ich hatten damals eine politische Diskussion geführt, die immer hitziger wurde. Und dann ist mir der Satz rausgerutscht: „Onkel, Sie alterieren sich.“ Das habe ich tatsächlich gesagt, obwohl „Onkel, reg dich nicht so auf“ ja viel naheliegender gewesen wäre ... +
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buchmesse/uebersetzer-nikolaus-stingl-im-interview-zur-buchmesse-15827511.html
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