GR radio play review
Kai Frederik Lorentzen
lorentzen at hotmail.de
Mon Apr 27 11:28:31 UTC 2020
Valid criticism. Especially regarding the voices ...
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Christina Dongowski:
+ ... Buhlert macht aus Pynchons Romanmonster, in dem man vorwarnungslos
von der Erörterung der philosophischen Implikationen der
Poisson-Verteilung in lustig-obszöne Soldatenlieder zur Sterbeszene
einer in Mittelbau Dora für die Wunderwaffe zu Tode gearbeiteten
Zwangsarbeiterin getrieben wird, ein „Paranoia-Drug-Sex Road
Movie-Hörspiel“. So beschreibt es die Website, die der SWR 2 dem
Mammutprojekt eingerichtet hat. Und das trifft es ganz gut: Buhlert
streicht den Text sehr konsequent zusammen: auf die Geschichte der Jagd
Tyrone Slothrops durch das vom Krieg verwüstete Europa, „die Zone“, auf
der Suche nach dem „Schwarzgerät“, dem Herz und Gehirn der A4/V2. Damit
erspart er sich das Problem, für Pynchons barock-BusterKeatonesken
Erzählen eine adäquate Hörspielform finden zu müssen. Allerdings handelt
er sich dadurch ein anderes Problem ein: Pynchons metaphysisches Monster
schrumpft auf eine Art „Born to be Wild – Easy
Rider“-Hippie-Spionage-Roman zusammen.
Gegen die Komplexitätsreduktion des Ursprungtextes ist an sich nichts
einzuwenden; dass Buhlert andere Priorität setzt als es die Pynchon-Fan
würde, die diese Rezension schreibt, liegt in der Natur der Sache, aber:
Buhlert reproduziert einen der ärgerlichsten Aspekte der
Rezeption(sgeschichte) des Romans (nicht nur) in Deutschland –/Gravity’s
Rainbow/als affirmativer Entwicklungsroman eines Weißen Mannes, der
durch allerlei Irrungen und Prüfungen die Wahrheit über Politik und
Gesellschaft als großen Corporate-Verschwörungszusammenhang erfährt. Im
Prinzip Wilhelm Meister, nur mit deutlich mehr Drogen, Sex und
Rock’nRoll (...) Besonders unangenehm zeigt sich das in zwei
ästhetischen Entscheidungen Buhlerts: in der von ihm selbst komponierten
und mit seinem Ensemble eingespielten Musik und bei der Auswahl der
Sprecher*innen, hier vor allem die der männlichen Figuren.
Musik spielt im Roman eine zentrale Rolle. Slothrop ist begeisterter
Mundharmonika- und Ukulele-Spieler; an entscheidenden Stellen des Textes
brechen die Figuren oder die Erzählinstanz in Songtexte aus, die auf
bekannte zeitgenössische Melodien zu singen sind; ständig werden
Schlager, Swing und vor allem Schwarze populäre Musik der Zeit, aber
auch klassische Musikstücke referenziert. Von all dem kommt im Hörspiel
fast nichts vor, stattdessen dominiert eine diffuser 70er
Jahre-JazzRock-Synthesizer-Gitarren-Sound den Hörraum. Was
möglicherweise als Verfremdungseffekt gedacht war, passt in seiner
Musikfrickelheros-Seligkeit leider nur zu gut in die
Weiße-Männlichkeitsromantik der von Buhlert gebotenen Handlung. Die sehr
konkrete historische Situierung des Romans, die im Zusammenspiel mit den
mythisch-sagenhaften Elementen des Textes den seltsamen Zeitraum „der
Zone“ auch für die Leserin erzeugt, verschwindet damit: Zweiter
Weltkrieg wird zu einer mittels Rauschen und altertümlichen
Kinoprojektor-Geräuschen aufgerufenen Kulisse. Die Paranoia des Romans,
die auch die Leserin schnell befällt, bleibt im Hörspiel eher
Behauptung, denn Erfahrung.
Buhlerts Vorliebe für einen ganz bestimmten Typ deutscher
Theaterschauspieler-Stimme ist das Äquivalent des Frickel-Sounds auf
Sprecherseite: Die meisten Männerstimmen sind sich alle viel zu ähnlich
in der Tonlage und im Sprachduktus. Sehr viel raue, rauchige,
ausgestellte Körnigkeit und Regie-Theaterdiktion, wodurch die
problematischen Aspekte der deutschen Übersetzung von Elfriede Jelinek
und Thomas Piltz forciert werden – zu wenig Flow, zu langsam im Rhythmus
und zu wenig sprachliche und stilistische Varianz der Register. Ob jetzt
der Erzähler Frank Pätzold spricht oder der zum zweiten Haupterzähler
beförderte „Pirate“ Prentice (Felix Goeser), ist schon am Anfang der 14
Stunden Hörzeit schwer zu unterscheiden und wird nach sieben Stunden
nicht einfacher.
Und Bibiana Beglau als Katje Borgesius, in der Hörspielversion die
weibliche Hauptrolle, ist leider eine Fehlbesetzung: Sie ist stimmlich
zu alt. Der Projektionscharakter der Figur beziehungsweise ihre
Fähigkeit, jedem Mann etwas anderes zu sein, bleibt in der Inszenierung
uneingelöst. Stattdessen scheint Buhlert sich eine deutsche Version
einer Film Noir-Heldin zusammenbasteln zu wollen. Corinna Harfouch als
Ex-UFA-Diva und kinderverschlingende Grimm’sche Hexe dagegen ist
fantastisch. Bedauerlicherweise setzt Buhlert Golo Euler, der Tyrone
Slothrop mit einer jungen, zwischen Naivität und Gerissenheit
changierende Stimme als eine Art Parsifal mit Can-Do-Attitüde spricht,
viel zu selten ein
Überhaupt keine Gedanken scheinen sich Buhlert und sein Team
rätselhafterweise darüber gemacht zu haben, wie sie die von Pynchon
akribisch registrierten Unterschiede im Englischen auf Deutsch hörbar
machen wollen. Dass man sich ständig missversteht, weil man die gleiche
Sprache spricht, nur anders, ist eines der immer wieder variierten
Motive des Romans. Von der Funktion der verschiedenen englischen
Sprachen als sozialer Marker ganz zu schweigen. Davon bleibt im Hörspiel
nichts. Im Gegenteil: Man hat des Öfteren den Eindruck, als wüssten die
Sprecher*innen nicht immer, wie man einen englischen Namen oder eine
Bezeichnung korrekt ausspricht ... +
https://www.54books.de/besser-scheitern-das-hoerspiel-gravitys-rainbow/
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