VL TAZ Review II

Otto ottosell at yahoo.de
Tue Apr 13 08:00:05 CDT 2004


Part II:

Der Schuß fällt Ende der sechziger Jahre auf dem Campus des "College of the
Surf", wo die "People's Republic of Rock and Roll" entstehen soll. Er
besiegelt zwar das Schicksal der Rock'n'Roll-Republik, tötet jedoch nicht
die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstverwirklichung, mit der sich die
"PR3er" (die People der Republik des Rock und Roll) ziemlich bekifft und
gleichzeitig politisch klar als autonome Republik konstituieren. Bevor der
Campus von paramilitärischen Truppen gestürmt wird, ist er von innen schon
durch Spitzel ausgehöhlt worden. Damit gar kein Zweifel an der Art und Weise
des Vorgehens der Truppen entsteht, läßt Pynchon sie ausgebildet sein von
dem "notorious Karl Bopp, former Nazi Luftwaffe officer and subsequently
useful American citizen". Die versprengten Reste der Bewegung ziehen
daraufhin mit ihren alten Hoffnungen nach Vineland, einem Ort, der abgelegen
genug zu sein scheint, um von der Repression übergangen zu werden.

Das ist die Vorgeschichte der Quest, die Pynchon in Vineland 1984 beginnen
läßt, als Prairie, die Tochter von Frenesi Gates und Zoyd Wheeler sich daran
macht, das Leben ihrer Mutter, die sie bis dahin niemals gesehen hat, aus
den ihr zugänglichen Informationen über die Vorgänge auf dem Campus zu
rekonstruieren. Wie in den anderen Romanen Pynchons, so fließt auch
in Vineland die Geschichte aus verschiedenen Informationsquellen. Obwohl der
neue Roman mit 385 Seiten um die Hälfte kürzer ist als Gravity's Rainbow,
kann man nicht sagen, daß seine Erzählstruktur deshalb leichter zu
durchschauen wäre. Eins aber läßt sich schon bei der ersten Lektüre
feststellen: so witzig wie die anderen Romane Pynchons ist Vineland allemal.

Zoyd (Wahlspruch: "there's nothing meaner than a old hippie gone sour")
bereitet seinen alljährlichen, vom lokalen Fernsehsender begleiteten Sprung
durch das Fenster einer Kneipe vor, mit dem er sich, sozusagen als
öffentlich geprüfter Irrer, für regelmäßige staatliche Unterhaltszahlungen
qualifiziert. Was er sonst für sich und seine 14jährige Tochter Prairie
braucht, bringt er zusammen mit Gelegenheitsjobs und als Erntehelfer auf den
Marihuanaplantagen, die Vineland mit dem Nötigsten versorgen. Das storybook

In diese Alltäglichkeit platzt die Nachricht, daß Bundesstaatsanwalt Brock
Vond, der unerbittliche Feind aus den Tagen der Rock'n'Roll-Republik, an der
Spitze einer kleinen Armee zum Sturm auf Vineland aufgebrochen ist. Da Zoyd
ahnt, daß er und Prairie das Ziel, seine Ex-Frau und Prairies Mutter Frenesi
jedoch das Objekt der Begierde ist, taucht er mit seiner Tochter gerade noch
rechtzeitig unter, bevor die Truppen ihr Haus konfiszieren und
schwerbewaffnet im Gleichmarsch die Gegend unsicher machen.

Für Prairie fallen durch Brock Vonds Invasion die schützenden Lügen über die
Vergangenheit ihrer Mutter in sich zusammen, die einer alten
Kommunistenfamilie entstammt, deren Mitglieder seit der Zeit der Wobblies
(I.W.W., Industrial Workers of the World) auf schwarzen Listen stehen.
Gemeinsam mit ihrem Freund und seiner Band, den Vomitones, verläßt Prairie
Vineland gen Süden, wo Zoyd ihnen einen Auftritt bei einer obskuren Hochzeit
vermittelt hat.

Während die Gruppe, im Alltag martialisch gekleidete Rockmusiker der
härteren Art, sich mit den gewünschten italienischen Schlagern und
Volksweisen schwer tut, lernt Prairie eine frühere Freundin ihrer Mutter,
Daryll Louise (DL) kennen. Die Flucht vor Brock Vond, der das Mädchen als
Pfand benutzen will, um Frenesi wieder in seine Gewalt zu bringen, wird für
Prairie zur Suche nach der politischen Wahrheit der sechziger Jahre. Es
stellt sich heraus, daß Frenesi keinesfalls untertauchen mußte, weil sie als
Kämpferin für die Sache des Volkes polizeilich gesucht wurde, sondern als
Geliebte des Bundesstaatsanwaltes eine Undercover-Agentin des FBI geworden
ist.

In einer take-off-story wird DL - die mit ihrem japanischen Partner Takeshi
Fumimota, einem ehemaligen Versicherungsagenten, ein Unternehmen für "Karmic
Adjustment" betreibt, daß die Schadensersatzansprüche und das Unglück der
Toten gegenüber ihrem Leben reguliert Frenesi als ein alternativer Frauentyp
der sechziger Jahre gegenüberstellt. Beide haben sich kennengelernt, als DL,
die mit ihrem Motorrad "asskicking" unterwegs ist, Frenesi aus einem
Polizeikessel rettet. Danach werden die am Anfang noch gemeinsam kämpfenden,
dann jedoch auf verschiedenen Seiten stehenden Freundinnen immer tiefer
hineingezogen in die Ereignisse auf dem Campus.

Zusammen mit Frenesi und deren Filmkollektiv dokumentiert DL die brutalen
Übergriffe der Polizei auf Antikriegsaktivisten, Linke, Studenten,
Blumenkinder. Frenesi jedoch zeigt das Material dem "Federal Megacreep"
Brock Vond.
(cont'd)

TAZ Nr. 3036 Seite 16-17 vom 17.02.1990
486 Zeilen von TAZ-Bericht barbara kroczauer




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