Die Quellcodes der Literatur
Otto
ottosell at googlemail.com
Sat Nov 21 08:45:59 CST 2009
Die Quellcodes der Literatur
Mark McGurl analysiert die Geburt der Literatur aus den
Reflexionsübungen des Creative Writing. Seine grundlegende und freche
Studie "The Program Era", in den USA breit diskutiert, sollte jeder
lesen. Sie erklärt gleich mit, wie aus angehenden Autoren gute
Angestellte werden
VON STEPHAN WACKWITZ
Mark McGurls Buchtitel "The Program Era" ist unter englischsprachigen
Literaturkennern als respektloses und lustiges Zitat sofort
identifizierbar. "The Pound Era" heißt eine bis heute viel gelesene
Monografie des kanadischen Literaturwissenschaftlers und
McLuhan-Schülers Hugh Kenner, der 1971 die modernistischen
Literaturpraktiken im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts - in
den Jahrzehnten T. S. Eliots, Joyce', Becketts, Lionel Trillings und
unzähliger vergessener avantgardistischer Epigonen - auf den alles
formierenden Einfluss Ezra Pounds zurückführte.
(...)
Das zentrale Theorie-Mobile McGurls sind drei Kategorien, von denen
man sich voller Neid wünscht, man hätte sie selbst erfunden, so
originell und zugleich evident sind sie. "Lower Middle Class
Modernismus" ist die McGurl-Kategorie für Raymond Carver und seine
Epigonen. "Technomodernismus" steht für Bücher, die um "techné" als
selbstständigen Wert organisiert sind: Thomas Pynchon, Walter Abish,
Donals Barthelme. McGurl rechnet zum Technomodernismus
einleuchtenderweise auch die amerikanischen Poststukturalisten. Als
"High Cultural Pluralism" wiederum bezeichnet er literarische Werke,
die aus solchen Lebenserfahrungen hervorgehen, die nicht von allen
Lesern autobiografisch unmittelbar geteilt werden: slave narratives,
J. D. Salinger und Isaac Singer, Gender-und Lesben-Literatur, die
ethnischen oder soziologischen Sonderfälle und Marginalerfahrungen.
Bücher, bei deren Besprechung Reich-Ranicki im "Literarischen
Quartett" dann immer gleich den Satz "Ich interessiere mich nicht für
Eskimos!" parat hatte und für ein Argument hielt. Und dabei verkannte,
dass auch sein geliebter Philip Roth zum "High Cultural Pluralism"
gehört.
(...)
Mark McGurl: "The Program Era. Postwar Fiction and the Rise of
Creative Writing". Harvard University Press 2009, 480 Seiten
http://tinyurl.com/McGurl
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